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Rutschklausel Bundesgerichtshof: Leipzig erhält neuen Senat

                                                              
„Bundesgerichtshof: "Leipzig erhält neuen Senat“ – Leipziger Volkszeitung 09.11.2018

Vor 26 Jahren entschied die „Föderalismuskommission“ (Föko) über die Ansiedlung von Bundesinstitutionen in Ostdeutschland. Gekämpft wurde mit harten Bandagen. Im Ergebnis wurde u.a. Leipzig mit dem Bundesverwaltungsgericht, dem Fünften Strafsenat des BGH (beide bis dahin Westberlin) und dem neu zu gründen „Archiv Deutsche Einheit“, das heutige „Zeitgeschichtliche Forum“ des „Hauses der Geschichte Bonn/Leipzig/Berlin“ bedacht.  

Mit dem Beschluss kehrte Ruhe ein. Die schockierten Bundesbehörden machten keine Anstalten der Umsetzung. Der Schockzustand hielt bis nach der Bundestagswahl 1994 an. Niemand kümmerte sich regierungsseitig um die Umsetzung der Beschlüsse.

Nach der Bundestagswahl 1994 wurde ich Mitglied des Haushaltsausschusses des Bundestags und dort Hauptberichterstatter für die Bereiche Bundesjustizministerium und Bundesverfassungsgericht. Manfred Kolbe war bereits seit 1990 Haushälter und übernahm seinerseits für die Unionsfraktion diese beiden Ressorts. Was sich bald als eine glückliche Fügung für Leipzig herausstellen sollte. Wir fanden uns und stritten fortan gemeinsam für Ostdeutschland im föderalen Standortwettkampf.

Das ging bereits mit der haushälterischen Übernahme der beiden Ressorts los. Beim ersten Lesen der Haushaltunterlagen des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) suchte ich nach Hinweisen zum Umzug des Bundesgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichts. Da war nichts, überhaupt nichts! Die Gerichte waren in kurzen Präambeln in ihren Aufgaben erklärt. Keine Bemerkung zu den beschlossenen Veränderungen. Sofort setze ich das Ministerium unter Druck und drohte, den Haushalt nicht zu bearbeiten, falls die Umzugsbeschlüsse der Föko in den Präambeln keinen Eingang finden würden. Ich informierte Manfred Kolbe und er signalisierte als Mitglied der Regierungsfraktion CDU/CSU massive Unterstützung. Es dauerte dann nur Stunden und die entsprechenden Formulierungsvorschläge des BMJ flatterten aus meinem Faxgerät. Die Arbeit konnte beginnen. Die Umzugsvorhaben wurden Bestandteil der Arbeit des BMJ. Mit dem Ministerium vereinbarten wir regelmäßige Baufortschrittsberatungen vor Ost. Das wurde über Jahre mit Erfolg durchgehalten.

Um der „Rutschklausel“ bezüglich des BGH langfristig die Chancen zu erhalten, schlugen wir der Bundesregierung den Vorratskauf des Nachbargrundstücks neben dem jetzigen BGH-Standort in der Karl-Heine-Straße vor, denn mit dem Fünften Strafsenat war das Gebäude räumlich „voll“ besetzt. Wir wollten dem BMJ für spätere Begründungen gegen einen weiteren Strafsenat in Leipzig präventiv den Wind aus den Segeln nehmen. Ein „Keine Räume und kein Platz für einen Anbau/Neubau“ sollte es nicht geben dürfen. Das BMJ nahm den Vorschlag auf und wollte das Grundstück kaufen. Das war der Stand 1995/96. Vor einigen Jahren fiel mir auf, dass das Grundstück inzwischen bebaut und für die „Rutschklausel“ verloren ist. Welche Vereinbarungen es zwischen dem BMJ und der Stadt Leipzig hierzu gab bzw. gibt, ist weder Manfred Kolbe noch mir bekannt. Ob Leipzig den Glauben an die Rutschklausel schon vor vielen Jahren aufgegeben hatte, weil der Widerstand gegen diese Klausel in Karlsruhe immer spürbar war (Anlage 2003) und mächtiger zu werden schien, das entzieht sich unserer Kenntnis.

Nachtrag zu den Umzügen:
Es gelang zusätzlich , die beiden Wehrdienstsenate des Bundesverwaltungsgerichts von München und die historisch wertvollen Bestände der Reichsgerichtsbibliothek von Karlsruhe nach Leipzig zu holen. Gegen enorme Widerstände.
Die „Große Koalition Weißgerber-Kolbe im Haushaltsausschuß“ des Bundestages jedenfalls, die war erfolgreich. Davon profitierte etliche weitere Institutionen und Projekte. Die Stichworte sind Bildermuseum, Haus der Geschichte in der Grimmaischen Straße, Zentralstadion, Biomasseforschungszentrum, Ost-Mittel-Europazentrum.

Für das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig schwebte uns eine begehbare und gläserne Kuppellösung analog der des Reichstagsgebäudes in Berlin vor. Das war dem Bundesfinanzministerium leider zu teuer. Ohnehin war das Haus Waigel 1994 der Auffassung, das Gebäude könne doch verkauft werden.

 


Im Übrigen verweise ich auf die soeben bei OsirisDruck Leipzig erschienene Broschüre „Selbstbewusst! Die Rettung der Leipziger Geodäsie und weitere Meilensteine“ (ISBN 978-3-941394-77-3 / Weißgerber, Fornahl, Kolbe).


Gunter Weißgerber

Anlagen