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Befreiung 1945 – für Mittel-Osteuropäer ein Januskopf

Am 7. Mai 1945 um 02:41 Uhr unterschrieb Generaloberst Jodl im Hauptquartier der Alliiertenexpeditionsstreitkräfte in Reims die bedingungslose Kapitulation Nazideutschlands. Erstmals verkündet wurde diese Kapitulation vom Reichssender Flensburg am gleichen Tage um 12:45 Uhr. Inkraftgetreten für alle Fronten ist sie am 8. Mai 1945 um 23:01 Uhr.

 

Wiederholt wurde diese Prozedur aus protokollarischen Gründen am 09. Mai 1945 um 00:16 Uhr in Berlin-Karlshorst. Erst dann wurde diese Kapitulation auch im Bereich der Sowjetunion bekannt gegeben.

 

Aus diesen Umständen resultieren die unterschiedlichen Gedenktage der deutschen Niederlage 8. (in Deutschland) bzw. 9. Mai 1945 (in der früheren Sowjetunion).

 

 

 

Die Beurteilung, ob 8. oder 9. Mai 1945 Tage der Befreiung und/oder der zwangsläufigen und völlig verdienten Kapitulation waren, hängt mit den höchst unterschiedlichen Entwicklungen danach zusammen. Während die Westalliierten in ihren Zonen den nationalsozialistischen Führer- und Einparteienstaat durch eine parlamentarische Demokratie mit freien Wahlen, Gewaltenteilung, unabhängiger Justiz und unabhängigen Medien ersetzten, installierte die Sowjetunion an Stelle des nationalsozialistischen Führerstaates ihren kommunistischen faktischen Einparteien- und Politbürostaat als Diktatur des Proletariats unter Ausschluss von freien Wahlen, von demokratischer Willensbildung und von Teilhabe, von unabhängiger Justiz und von unabhängigen Medien.

 

Einschub: Genau an diesem Punkt müsste die derzeitige SED-Reinwaschkoalition in Thüringen ansetzen, würde sie tatsächlich Ernst machen wollen mit der Aufarbeitung des Unrechtsstaates DDR innerhalb des Unrechtssystems Kommunismus. In der DDR schlich sich Unrecht nicht ab und an ein, die Diktatur des Proletariats war als Staatsgebilde ein Unrechtsstaat, in dem wie in allen Diktaturen überall auch nicht nur Unrecht gesprochen wurde.

 

 

 

Unzweifelhaft steht fest, die Welt wurde 1945 vom NS-Vernichtungskrieg und dem industriellen Massenmorden in deutscher Verantwortung befreit.

 

Das war eine Befreiung, obgleich diese nicht für alle Europäer einschließlich der Deutschen auch die sichere Freiheit unter demokratischen Rahmenbedingungen bedeutete. 

 

Die staatlich garantierte Befreiung von diktatorischer Unfreiheit war leider nur den West- und Mitteleuropäern vergönnt.

 

Aus diesem Grunde fällt es auch heute noch sehr schwer in Bezug auf den Anteil der Roten Armee an der Niederschlagung des Nationalsozialismus von Befreiung im Sinne von tatsächlicher Freiheit zu sprechen. Westdeutsche haben es hier einfacher. Für sie kam mit der Befreiung durch die Westalliierten auch die Chance auf Freiheit und Demokratie. Für die Ostdeutschen und alle östlich des „Eisernen Vorhangs“ lebenden Völker kam übergangslos die nächste Diktatur. So gesehen waren 1945 die demokratisch legitimierten Roosevelt und Churchill Befreier und Überbringer von Freiheit vom Westen her. Erst ganze 44 Jahre später war es der Russe Gorbatschow, der sehr verspätet vom Osten her die Freiheit zuließ.

 

 

 

An der Befreiung haben alle gegen Deutschland kriegsführenden Staaten und Widerstandsbewegungen unterschiedlichen Anteil. Die größten Opfer erbrachten die Völker der Sowjetunion ungeachtet der immer noch unterbelichteten Tatsache, dass die Sowjetunion zwischen dem 17. September 1939 und dem 22. Juni 1941 mit Nazideutschland den gleichen Krieg gegen Polen, gegen die baltischen Staaten Finnland, Lettland, Litauen, Estland, gegen die heutige Westukraine und weitere Staaten und Bevölkerungen östlich der Linie Brest-Litowsk führte.

 

Auch die gemeinsame Siegesparade von Wehrmacht und Roter Armee in Brest-Litowsk am 22. September 1939 oder die Übergabe hunderter deutscher Kommunisten in den sicheren Tod an die Gestapo infolge des „Grenz- und Friedensvertrages“ vom 28. September 1939 durch Stalins Schergen gehören in diese unsägliche Aufzählung schlimmster Verfehlungen Stalins im Vorfeld des „Großen Vaterländischen Krieges“, dessen Datierung und Bezeichnung das anfängliche Mitwirken der später siegreichen Sowjetunion zu Beginn des Zweiten Weltkrieges bis heute weitgehend erfolgreich zu vertuschen vermag.

 

 

 

Einschub: Wie wird Putin am 9. Mai die 22 Monate mörderischen Wütens beschreiben? In welcher Statistik werden die in diesem Krieg gefallenen sowjetischen Soldaten geführt? Oder werden sie verschwiegen, so wie die heute in der Ukraine sterbenden russischen Soldaten?

 

Vor dem aktuellen Hintergrund von Putins kriegerischen Einsammelns „russischer Erde“, von dem erneut alle bereits 1939/41 betroffenen Völker betroffen sind oder sich betroffen sehen, muss dieser weiße Fleck in den geschichtlichen Betrachtungen über das 20. Jahrhundert besprochen werden.

 

 

 

Was dem Bild des Befreiers Stalin zusätzlich schwer abträglich ist, war sein Umgang mit den sowjetischen Kriegsgefangenen, die die NS-Lager-Hölle unter unmenschlichsten Bedingungen überlebten. Sie wurden wegen ihres Überlebens ausnahmslos der Kollaboration mit den NS-Schergen verdächtigt und zum großen Teil im Gulag der Vergessenheit anheimfallen gelassen. Für jene war er nicht einmal kurzzeitig ein Befreier.

Nicht zu vergessen die Vertreibung der Deutschen - Stalins ethnische Säuberung mit Zustimmung der Alliierten - für die vergewaltigten Frauen, enteigneten Deutschen, zerrissenen Familien und Traumatisierten war das ebefalls keine Befreiung.

 

In familiären Erzählungen spielte oft die damalige Angst von sowjetischen Zwangsarbeitern vor der Ankunft der Roten Armee eine Rolle. In ihrer Tragweite verstanden hatte ich diese Schilderungen erst viel später, nach 1989. Erst dann war die historische Literatur zu diesem Aspekt der stalinschen Paranoia allgemein zugänglich. Mich schüttelt es noch heute. Gerade in Anbetracht des heroisierenden Bildes von der großen Menschenfreundin Sowjetmacht, welches uns in der DDR täglich eingetrichtert wurde.  

 

 

 

Einschub: Stalins Nachfolger und Apologeten erstickten die Freiheit in Mittel-Osteuropa immer und immer wieder. Sie überrollten mit ihren Panzern den angeblich faschistischen Volksaufstand 1953 in der DDR, die angebliche faschistische Konterrevolution 1956 in Ungarn, bauten den sogenannten antifaschistischen Schutzwall 1961 in Berlin, zerschlugen 1968 den angeblich faschistischen Prager Frühling, zwangen 1981 Jaruzelski zur Militärdiktatur in Polen und hofften auf den Panzereinsatz 1989 gegen die Friedliche oder Samtene Revolution in Mittel-Osteuropa. Unter gleicher Firmierung annektiert heute Putin Teile seiner Nachbarstaaten im Kampf gegen einen angeblichen Faschismus.

 

 

 

Das alles macht es uns so schwer, Putins Russland für die Entsorgung der NS-Herrschaft aus freien Herzen heraus Danke zu sagen. Es kommt schwer über die Lippen.

 

 

 

Als Sachse wünschte ich mir manchmal, Roosevelt und Eisenhower hätten das Wort von Jalta nicht gehalten und wären 1945 bis Berlin gezogen und hätten Thüringen und Obersachsen nicht gegen Westberlin eingetauscht. Ein Leben in Freiheit und Demokratie von Geburt an wäre für mich selbstverständlich gewesen und das Experiment Sozialismus hätte ich aus sicherer Ferne gelangweilt beobachten können.

 

Ob ich dann genauso wie viele unserer westdeutschen Brüder und Schwestern über das kommunistische Unrecht bis 1989 lapidar hinwegsehen und die RotBlutrotGrüne Koalition in Erfurt fahrlässig begrüßen würde?

 

Ob ich in dem Fall auch den ungleichgewichtigen Parteitagsbeschluss der SPD vom November 2013, worin als wesentliche Kondition für eine SPD-Linksaußen-Koalition der gemeinsame Kampf gegen den Rechtsradikalismus unter expliziter Nichtnennung der Gefahren des Linksradikalismus (und des Islamismus) festgehalten ist, leichtfertig mittragen würde? Ich hoffe nicht!

 

Der tatsächliche Tag der Befreiung für die heutigen Ostdeutschen ist der 31. August 1994. An diesem Tag zogen die letzten russischen Besatzungstruppen aus Ostdeutschland ab. 

Erst Gorbatschow, dann auch Jelzin, hatten dies möglich gemacht. Wäre Putin bereits 1994 an der Macht gewesen, würden die Russen noch heute in der Ostzone stehen.