Gunter Weißgerber MdB
Hans-Joachim Fuchtel MdB CDU lud mich zum Vortrag anläßlich des Tages der Deutschen Einheit 2007 nach Altensteig ein.
Freudenstadt, Altensteig, 3. Oktober 2007
Es gilt das gesprochene Wort!
Sperrfrist: 3.Oktober, 10 Uhr!
Friedliche Revolution und Deutsche Einheit
Sehr geehrte Damen und Herren,
wie kommt ein Sozialdemokrat dazu, Festreden zum Tag der Deutschen Einheit auf CDU-Veranstaltungen zu halten? Die Antwort ist einfach.
Zuerst das Land, dann die eigene Partei!
Angefragt hat mich der CDU-Bundestagsabgeordnete Hans-Joachim Fuchtel. Warum sollte ich diese Bitte abschlagen?
Kollege Fuchtel ist Mitglied einer der demokratischen Parteien dieser Republik.
Wer die demokratische Konkurrenz als Feindschaft auffasst, mag damit Probleme haben. Ich habe nur Probleme mit den Feinden der Demokratie, links wie rechts.
Anrede,
für mich ist es noch immer wie ein Wunder, den Tag der Deutschen Einheit nicht mehr am 17. Juni nur im Westfernsehen ablaufen sehen zu können, sondern stattdessen diesen Tag in Einheit und
Freiheit mit Freunden aus allen Teilen Deutschlands begehen zu können.
Heute nun hat mich dieses Wunder nach Altensteig und Freudenstadt gebracht. Ich bin dankbar!
Der lange Weg zur Einheit in Freiheit
Der Weg bis zum heutigen Tag war unendlich lang, steinig und von vielen Opfern und Menschenrechtsverletzungen gepflastert. Und all das im Namen einer angeblich auf Sozialismus und Gerechtigkeit
ausgerichteten Ideologie.
Einer Ideologie, die im Osten nie mehrheitsfähig war.
So wie die DDR zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte von einer Bevölkerungsmehrheit getragen war. Immer waren es die sowjetischen Panzer, die den deutschen Kommunisten ihre Herrschaft
sicherten.
Beredter Ausdruck dieser Haltung war die ständige Abstimmung mit den Füßen. Bis 1961 verließen Millionen Menschen ihre Heimat gen Westen.
Erst der Mauerbau dämmte den Menschenstrom zu Tropfen ein, gänzlich verhindern konnte die SED die Abwanderung nach Westdeutschland und Westberlin nie.
Die Menschen riskierten nach dem 13. August 1961 ihr Leben und ihre Gesundheit, verloren ihr Eigentum und waren sich der Gefahr bewusst, dass die zurückgebliebenen Familienmitglieder und Freunde
in den Fokus der Staatssicherheit geraten würden.
Der 20jährige Chris Gueffroy wurde im Februar 1989 das letzte Todesopfer an der Berliner Mauer. Soviel zum Schießbefehl und dessen Verleugnung durch die jetzige Linke.
Manchmal wurde die Frage gestellt, warum ließen sich die Ostdeutschen das alles gefallen? Das ist schnell beantwortet.
Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 in der DDR, der ungarische Volksaufstand im Herbst 1956 und der Prager Frühling 1968 wurden mit sowjetischen Panzern überrollt, die Polen kamen 1981 einer
sowjetischen Invasion nur durch einen eigenen Militärputsch zuvor.
Die Ostdeutschen wussten also genau, was mit ihnen passieren würde. Was blieb, war das Hoffen auf politische Änderungen in Moskau, im Ostblock überhaupt.
Die Neue Ostpolitik, die KSZE-Entwicklung, aber auch die Warnung mit dem NATO-Doppelbeschluss (Gorbatschow gab Helmut Schmidt Anfang der 90er Jahre Recht) nährten diese Hoffnung.
Eine Hoffnung, die auf Veränderung der ostdeutschen Betonköpfe, auf Demokratisierung des Systems und letztlich auf Überwindung der politischen Zustände hinauslief.
Sinnbild der um sich greifenden Hoffnungen waren die Charta 77 in der CSSR, die Gewerkschaft Solidarnost in Polen, die kirchlichen Friedensgebete seit 1982 in Leipzig und die sich bildenden
Menschenrechts- und Umweltinitiativen in der DDR.
Die Menschen wurden mutiger, weil sie sich auf internationale Abkommen und Verständigungen stützen und sich mit Hilfe medialer Bekanntheit im Westen zusätzlich sicher fühlen konnten. Glasnost und
Perestroika in der Sowjetunion taten ein Übriges.
Es bedurfte eines Mannes wie Gorbatschow, der die Panzer nicht mehr rollen lassen wollte.
Erst jetzt waren Honecker & Co. mit ihren Armeen und Geheimdiensten hilflos allein zu Haus. Plötzlich fehlte der Mut, sich der Bevölkerung blutig entgegenzustellen.
Die Gefahr sowjetischer Invasionen schien vorläufig gebannt. Es wehte der Wind des Wechsels und der Freiheit im Ostblock.
Immer mehr Menschen fanden den Weg auf die Strasse. Hunderte demonstrierten ohne Genehmigung im Januar 1989 anlässlich der jährlich staatlich organisierten
Luxemburg/Liebknecht-Gedenkveranstaltung in Ostberlin für ihre Vorstellungen von Freiheit und Demokratie und beriefen sich auf Rosa Luxemburgs Satz von der Freiheit, die immer die Freiheit der
Andersdenkenden sein soll, ohne zu wissen, dass Luxemburg nur die Freiheit der Andersdenkenden innerhalb ihrer eigenen politischen Bewegung meinte und freie Wahlen für das unmündige Volk strikt
ablehnte.
Es geht los
Anlässlich der Leipziger Frühjahrsmesse 1989 nutzten 3000 Leipziger die mediale Weltöffentlichkeit und demonstrierten gegen die politische Ordnung.
Die Bilder gingen um die Welt und nährten wiederum die Hoffnungen der Menschen.
Am 2. Mai 1989 öffneten die lustigste Baracke im Ostblock, Ungarn, ihre Grenze nach Österreich, der Eiserne Vorhang bekam ein großes Leck und die DDR schien über diesen Umweg auslaufen zu
können.
Im Juni 1989 ehrten die Ungarn mit Imre Nagy den Führer ihrer Erhebung von 1956 erstmalig als mutigen Ministerpräsidenten und denunzierten ihn nicht mehr als Konterrevolutionär.
Genau dies wollten wir für unsere Helden von 1953 endlich auch tun dürfen.
Die Ungarn hatten ihre Grenzen geöffnet, doch galt dies nur für ihre eigenen Leute. Angehörige anderer Nationen und Staaten durften Ungarn in Richtung Westen nicht verlassen.
Noch glaubten die Ungarn, ihre Ostblockverträge einhalten zu müssen. Nun begannen die Botschaftsbesetzungen von Budapest, Prag und Warschau.
Tausende Ostdeutsche suchten Zuflucht in den Botschaften der Bundesrepublik in Ungarn, der CSSR und in Polen. Gleichzeitig hielten sich ungefähr 20 000 fluchtwillige DDR-Bürger im ungarischen
Grenzgebiet zu Österreich auf.
Alle warteten auf das Einknicken der SED-Führung in Ostberlin. Zumal der innere Druck zunahm.
Im Sommer 1989 fanden sich neue politische Gruppierungen wie „Demokratie Jetzt“ und SDP zusammen. Im September ging das Neue Forum an die Öffentlichkeit, die Leipziger Montagsdemonstrationen
schwollen mächtig an und die friedliche Revolution nahm ihren Lauf.
Angeheizt durch die politischen Gruppenbildungen und die beständig anwachsenden Leipziger Montagsdemonstrationen, die Botschaftsbesetzungen in den sozialistischen Bruderländern, die provokativen
Botschaftsausreisezüge durch den Süden der DDR in die Bundesrepublik – ich erinnere hier ausdrücklich an die Straßenschlachten und die Gruppe der 20 am Dresdner Hauptbahnhof sowie an die von
Protestierern vollbesetzten Bahnhöfe von Reichenbach und Plauen - entstand bis zum Oktober 1989 eine Stimmung, die den Herrschenden zunehmend Angst einflößte.
Motor der friedlichen Revolution und Deutsche Frage
Zum Kulminationspunkt wurde der 9. Oktober von Leipzig. Tage vorher drohte die SED-Führung mit dem Massaker vom „Platz des
himmlischen Friedens“ in Peking als der chinesischen Lösung für Leipzig und gab damit eine ernst gemeinte tödliche Drohung von sich.
Dennoch nahmen 70 000 Menschen an der inzwischen obligatorischen Montagsdemonstration teil. Friedlich machten die Demonstranten der Obrigkeit klar, dass sie das Volk sind und die da oben nicht
dazugehören.
Die SED-Führung war gelähmt und suchte, das Heft des Handelns vergeblich wieder in die Hand zu bekommen. Es begann die Zeit der Dialoge zwischen den Bürgern und der Staatsgewalt bei
gleichzeitigem explosionsartigem Anschwellen der Montagsdemonstrationen mit bis zu 500 000 Teilnehmern am 30. Oktober 1989.
Der SED schwammen die Felle davon. Honecker wurde gestürzt, die Regierung trat zurück und mit Krenz versuchten die „Tapezierer“, ihre DDR neu zu kostümieren und damit zu retten.
Stefan Heym, Christa Wolf und viele andere angesehene Persönlichkeiten kamen ihnen sogar entgegen. Ihr Aufruf „Für unser Land“ vom 26. November 1989 spielte der SED in die Hände.
Ihnen ging es um die Eigenständigkeit der DDR, dabei naiv in Kauf nehmend, dass die alte Nomenklatura weiterhin alles im Griff haben würde.
Das sah die Bevölkerung in der Provinz anders, das sahen wir in Leipzig grundsätzlich anders. Die Antwort auf den Ostberliner Aufruf „Für unser Land“ kam postwendend mit dem „Leipziger Aufruf“,
die offenen Gespräche zwischen beiden deutschen Staaten mit dem Ziel einer Konföderation oder der Einheit anmahnte.
Natürlich bedufte es vorher freier Wahlen in der DDR.
Die Entwicklung verlief vom Januar 1989 bis zum 18. März 1990, den ersten freien Volkskammerwahlen, zunehmend rasanter. Baute sich bis zum 9. Oktober der Druck im Kessel und der Mut der Menschen
langsam, aber stetig auf, so wurde die Entwicklung bis zu den Volkskammerwahlen atemberaubend schnell.
Veränderungen, die unter normalen Umständen Jahre brauchen, waren damals nach Tagen bereits veraltet und erforderten die nächste Änderung.
Herrschte bis zum 9. Oktober der gemeinsame Wille nach Freiheit und Demokratie vor, so artikulierten sich danach die unterschiedlichen Auffassungen über die Ziele der Emanzipationsbewegung.
Aus der emanzipatorischen Feststellung „Wir sind das Volk“ wurde die politische Forderung „Wir sind ein Volk“. Plötzlich war es möglich, den Ruf nach deutscher Einheit zu formulieren. Eine
Forderung, die kurze Zeit vorher die Staatsmacht unerbittlich und vernichtend auf den Plan gerufen hätte, deshalb auch bis dahin nicht offen gefordert wurde.
Um schnell freie Wahlen und Demokratie zu erreichen und um das bisher Erreichte zu sichern, bedurfte es jeden Montag der vielen hunderttausend Menschen auf den Strassen Leipzigs und in der
DDR.
Nur diese demonstrativ zur Schau gestellte Macht der Bevölkerungsmehrheit konnte der SED und dem MfS die löchrig gewordenen Grenzen aufzeigen.
Allerdings war klar, die vielen Menschen würden auf Dauer nur in großer Zahl kommen, wenn es auch regelmäßig zu politischen Kundgebungen kommen würde.
Dies galt besonders nach dem 9. November, dem Tag der innerdeutschen Grenzöffnung. Der mit der Grenzöffnung entwichene Druck musste über das regelmäßige Angebot an politischen Kundgebungen
sozusagen kompensiert werden.
Neben das verführerische Angebot im plötzlich offenen Westen mussten wir unser politisches Angebot auf die Rednertribünen stellen. Es durfte politisch nicht ausreichen, reisen zu können und dafür
alles beim Alten zu belassen.
Die Verhältnisse in der DDR mussten unumkehrbar verändert werden! Das ging nur über freie Wahlen und die Einheit in Freiheit.
Nur der Untergang der DDR in einer neuen Bundesrepublik konnte die Restauration der alten DDR und der Macht ihrer Epigonen auf Dauer verhindern. Deshalb bedurfte es bis zum März 1990 ständig
hunderttausender Menschen auf den Strassen und Plätzen Ostdeutschlands!
Im Vorfeld der ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 wurden die Demonstrationen politisch differenzierter, sie wurden zu Wahlkampfplattformen.
Letztlich setzten sich die Parteien am Wahlabend durch, die sich zur deutschen Einheit bekannten.
Ausschlaggebend für die Einzelergebnisse war das Zutrauen der Bevölkerung in die Geschwindigkeit des Einigungsprozesses, die die einzelnen Parteien versprachen. Hier war meine Partei klar im
Nachteil.
Zwar wurde mir in Leipzig geglaubt, dass ich eine schnelle Einheit will,
ostdeutschlandweit konnten die Wähler es der SPD angesichts von Lafontaines Abwehrhaltung eben nicht glauben.
Folgerichtig gaben sie der „Allianz für Deutschland“ (CDU, DSU, DA) in großer Mehrheit ihre Stimme und damit den Auftrag, die Deutsche Einheit zügig anzugehen.
Für uns ostdeutsche Sozialdemokraten war es ungeachtet unseres schmerzhaften Wahlergebnisses eine Selbstverständlichkeit, mit der „Allianz für Deutschland“ eine große Koalition einzugehen.
Kurzum, die friedliche Revolution in der DDR setzte die Deutsche Frage auf die politische Tagesordnung und wurde ohne Zaudern beantwortet.
Auch hatten wir keine Zeit. Ein möglicher Putsch in der damaligen Sowjetunion hätte mit Sicherheit die russischen Panzer, wie 1953 geschehen, wieder auf die Strassen gebracht und all das von der
Bevölkerung im Herbst 1989 Erreichte zerschlagen.
Ohne Todesopfer wäre dies angesichts der bekannten kommunistischen Geschichte niemals abgegangen. Dieser Gefahr mussten wir zuvorkommen.
Als dann im August 1991 in Moskau erfolglos geputscht wurde, waren wir bereits 9 Monate in der Sicherheit des westlichen Bündnisses.
Jede Bundesregierung, selbst eine von Lafontaine geführte, hätte sich dem Einheitsdrang der Deutschen positiv stellen müssen.
Es war aber Helmut Kohl und die von ihm geführte christlich-liberale Bundesregierung, die zu dieser Zeit die Geschicke der alten Bundesrepublik leitete und die Einheitssehnsucht der Deutschen in
beiden Teilstaaten erfasste und ausdrücklich bejahte.
Deshalb ist es auch Helmut Kohls Verdienst, den deutschen Einigungsprozeß gemeinsam mit der demokratischen DDR- Regierung unter de Maiziere und Meckel vorangetrieben zu haben.
Die Fehler, die danach gemacht wurden, ändern an dieser grundlegenden Aussage nichts.
Fehler, Missverständnisse und Aufarbeitung
Fehler wurden tatsächlich gemacht.
In der Eigentumsfrage dem Grundsatz der Rückübertragung vor der Entschädigung den Vorrang zu geben gehört hier genauso dazu wie die Fehlentscheidung, in der Treuhandanstalt die ostdeutschen
Firmen vorrangig verschleudern zu lassen, statt die erhaltungswürdigen vor dem Verkauf zu sanieren.
Statt vieler verlängerter Werkbänke im Osten Deutschlands hätten wir es heute mit selbsttragenden Firmen zu tun. Dies hätte heute Auswirkungen auf den innerstaatlichen Transfer. Er könnte
geringer sein. Vielleicht inzwischen sogar ohne Solidaritätszuschlag. Doch das ist vergossene Milch.
Die innerdeutsche Solidarität ist wichtig und muss bis 2019 entsprechend des Solidarpaktes geleistet werden.
Danach müssen und werden die sogenannten neuen Bundesländer mit ihren Mitteln im Rahmen des allgemeinen Länderfinanzausgleichs auskommen wollen und müssen.
Bin ich gerade beim Solidarpakt bzw. dem Solidaritätszuschlag, dann möchte ich auch die Gelegenheit nutzen und Ihnen sagen, dass dieser Solidaritätszuschlag von Beginn an auch von den
ostdeutschen Steuerzahlern gezahlt wurde und wird.
Diesen Umstand zu verdeutlichen, dies hatte die damalige Bundesregierung leider versäumt. Manch’ innerdeutsches Missverständnis wäre so nie entstanden.
Ein Missverständnis der besonderen Art ist das von der Hexenjagd auf ehemalige Stasileute in Ost und West.
Die SED oder die Linke, wie sie jetzt heißt, hat die Mär aufgetischt, dass die Stasiunterlagenbehörde eine westdeutsche Kolonisierungstruppe und dass die Stasiunterlagenaufarbeitung angeblich die
organisierte Hexenjagd auf unbescholtene Mitbürger ist.
Beides ist grober Unfug. Es waren die Ostdeutschen, die zu hunderttausenden Akteneinsicht verlangten und dies durch ihre Abgeordneten im gesamtdeutschen Parlament gegen erhebliche rechtsstaatlich
folklorierte Widerstände ihrer Westkollegen durchsetzten.
Was das MfS bis 1989 betrieb, dies war eine kontinuierliche Hexenjagd auf die eigene Bevölkerung!
Jeder war verdächtig ein Staatsfeind zu sein, jeder sah sich vorsichtig am Arbeitsplatz oder in der Kneipe oder sonst wo um, ob er sich offen unterhalten kann oder ob er belauscht wird.
Das war die eigentliche Hexenjagd!
Aber doch nicht der Wunsch, zu wissen, wer einen bespitzelt oder geschadet hat.
Die von der Stasi Bespitzelten wollten nur Gewissheit und keine Rache! An dieser Stelle sind die früheren Spitzel wahrscheinlich nur von ihrer eigenen minderen Moral ausgegangen und nahmen an,
dass ihre Opfer genauso ethisch lädiert seien und mit ihnen so umgehen würden wie sie es 40 Jahre mit ihnen taten.
Das war wohl ein Irrtum!
Das Thema Aufarbeitung wird uns noch lange bewegen. Wir wollen nie wieder eine Diktatur in Deutschland erleben. Deshalb die Stasiunterlagenbehörde, deshalb die
SED-Unrechtsbereinigungsgesetze.
Weil wir aus den Fehlern der Aufarbeitung der NS-Diktatur gelernt haben. Sowenig uns ehemalige Marinerichter als Ministerpräsidenten im Westen unseres Vaterlandes zusagten, genauso wenig wollten
wir die Modrows und Gysis nicht als mögliche Regierungschefs in Ostdeutschland erleben.
Nur hatten wir das Glück, mit Hilfe der 60 Millionen anderen Deutschen den Einfluss unserer Abgehalfterten für immer eindämmen zu können.
Diese Möglichkeit gab es nach 1945 nicht.
Diktatur darf sich nicht lohnen. Nicht für die Träger des jeweiligen Systems, nicht für Spitzel und Handlanger und nicht für die Mitläufer!
Das ist unsere Lehre aus zwei Diktaturen, unermesslichem Leid und Deutscher Teilung!
Manch’ Zeitgenosse stolpert über den Begriff der friedlichen Revolution, galt doch bis 1989 die archaische Vorstellung, wonach Revolutionen und Blutbäder die Seiten einer Medaille sein
müssen.
Aber was da 1989/90 ablief, das war revolutionär. Die Menschen hatten sich Demokratie und Freiheit erdemonstriert und die jeweiligen Staats- und Machtstrukturen wurden durch den Druck der
Bevölkerung grundsätzlich verändert.
Statt der Diktatur des Proletariats leben heute Deutsche, Tschechen, Ungarn, Polen und viele andere seit 1989/90 in freiheitlichen Demokratien.
Sprechen wir besser vom Januskopf von Revolutionen.
Hier die blutgetränkte Revolution eines Lenin und seiner Gesinnungsgenossen gegen die Bevölkerung, da die friedliche Revolution der Bevölkerung gegen Lenins Herrschaftsform.
Es kommt immer auf die treibenden Kräfte an.
Sind es ideologisch verblendete, sich als Avantgarde sehende Terroristen oder kommt die Revolution aus einer friedlichen Bevölkerung, die nach Freiheit dürstet.
Erfahrungen in der Demokratie
Seit 17 Jahren haben wir die Einheit und leben in unserem gemeinsamen Staat. Seit 17 Jahren machen auch wir Ostdeutschen reale Erfahrungen in der
Bundesrepublik Deutschland. Der heutige Festtag kann nicht der Tag eines vor allem kritischen Abrisses sein.
Doch möchte ich zwei Bemerkungen zum Allgemeinzustand machen. Die Bundesrepublik ist föderal verfasst und leistet sich demgemäß 16 verschiedene Bildungssysteme.
Was den immer mobileren Familien mit ihren schulpflichtigen Kindern damit zugemutet wird, ist der kritischen Nachfrage würdig.
Im politischen Diskurs missfiel mir von Beginn an die scheinbar fehlende Kraft, dem politischen Konkurrenten in dem Fall Recht zu geben, in dem er tatsächlich Recht hat. Das gilt leider für alle
Parteien und Gruppen, die sich am Diskurs im demokratischen Gemeinwesen beteiligen. Ob es die Ostpolitik, die KSZE-Schlussakte, der Nato-Doppelbeschluss, die Waigelsche Steuerreform der 90er
Jahre, der Transrapid oder die AGENDA 2010 waren, die jeweilige Opposition war immer dagegen, um damit in den Ländern zu punkten und über den Konflikt Bundestag-Bundesrat wieder in Bonn oder
Berlin an die Regierung kommen zu können. Wie schnell dann die vormalige Regierungspartei sich von der eigenen Politik absetzt und die neue Regierungspartei die vorher bekämpften Positionen für
sich übernimmt, das ist oft sehr ärgerlich. Und tut weh!
Im Moment vergessen die Grünen und Teile meiner Partei ihre sieben wichtigen Regierungsjahre. Und unser jetziger Berliner Koalitionspartner hat sich sein Problem mit dem vormaligen Bekämpfen der
AGENDA 2010 und der aktuellen Notwendigkeit, diese AGENDA für den richtigen Schritt in die richtige Richtung zu erklären, geschaffen.
Wir müssen unsere politische Kultur wieder so offen gestalten, dass die Menschen merken, zuerst die Problemlösung und dann der eigene Platz in der Sonntagsfrage. Wenn uns das gelingt, dann muss
uns um Deutschland nicht bange werden!
