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Der Spannungsfall

 

 

 

 

Annette Heinisch

 

Bundeskanzler Friedrich Merz äußerte kürzlich, dass Deutschland sich nicht im Krieg befände, aber auch nicht mehr im Frieden. Die NZZ titelte: “Friedrich Merz sagt, Deutschland befinde sich nicht mehr im Frieden. Er hat recht” und führte aus: “Die Deutschen wurden von ihrer Regierung zu lange in falscher Sicherheit gewogen. Doch Ehrlichkeit allein wird sie nicht schützen. Der deutsche Kanzler muss auch danach handeln.”

 

Tatsächlich zeichnet sich die deutsche Politik durch markige Worte aus, die nicht mit Taten hinterlegt werden. Einzig die Methode “Geld draufschütten” hat Tradition, nur dass erstens mittlerweile das Geld ausgeht und zweitens diese Methode Probleme bestenfalls zeitweise verbarg, nicht aber wirklich löste.

 

Befeuert wurde die derzeitige Diskussion nicht nur dadurch, dass GPS-Navigationssysteme von Verkehrsflugzeugen professionell gestört wurden, sondern aktuell durch signifikant vermehrte Drohnensichtungen in Deutschland und einigen nordischen Staaten.

 

Manche Sichtungen werden sicherlich harmlos sein. Nicht jeder Drohnenbesitzer weiß, dass er ohne Erlaubnis nicht einmal über fremde Grundstücke fliegen darf. Die meisten wissen oder ahnen allerdings, dass Flughäfen und militärisches Sperrgebiet jedenfalls tabu sind. Tatsächlich gibt es noch weitere Gebiete, in denen Drohnenflüge verboten sind, was auf Karten dargestellt und für jeden einsehbar ist.

 

Wenn aber plötzlich verstärkt Drohnen oder gar Drohnenschwärme mit “Mutter – Drohnen” über Sperrgebieten auftauchen, dann ist das zweifellos Besorgnis erregend. Derzeit ist es sowohl Polizei als auch Bundeswehr nach dem Luftsicherheitsgesetz verboten, Drohnen gezielt abzuschießen. Vielmehr werden zur Bekämpfung technische Methoden wie Spoofing oder Jamming eingesetzt, um die Steuerung zu unterbrechen oder zu täuschen. Bei KI gesteuerten oder vorprogrammierten Drohnen hilft dies allerdings nicht, zudem sind diese Geräte bisher nur in eng begrenzter Anzahl vorhanden.

 

Zwischen Krieg und Frieden

 

Vor diesem Hintergrund kam die Diskussion darüber auf, den Spannungsfall gem. Art. 80 a GG festzustellen. Darunter versteht man eine vom Bundestag festzustellende Ausnahmelage zwischen Frieden und Verteidigungsfall zum Zwecke der Herstellung einer gesteigerten Verteidigungsfähigkeit.

 

Diese gesteigerte setzt allerdings eine grundsätzlich vorhandene Verteidigungsfähigkeit voraus. Schon an dieser fehlt es. Bereits unter Kanzler Gerhard Schröder wurde die Bundeswehr nach Ende des Kalten Krieges abgerüstet, dieses wurde in den Folgejahren konsequent weitergeführt, was zu dem (auch weltweit) bekannten Umstand führt, dass Deutschland weitgehend schutzlos dasteht.

 

Der ehemalige Inspekteur des Deutschen Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, hat 2022 vor dem Hintergrund der Ukraine-Invasion des russischen Militärs die deutsche Verteidigungspolitik der vergangenen Jahre scharf kritisiert und das deutsche Militär als lediglich bedingt einsatzbereit bezeichnet. Sein Satz, dass das Heer mehr oder weniger blank da stünde, ist legendär. Mais vertritt außerdem die Ansicht, dass ein ausreichendes Aufwachsen des Heeres mit Freiwilligen nicht gelingen wird. „Das Gottvertrauen auf genügend Freiwillige wird schon bald nicht mehr ausreichen....Wir haben der Nato nicht nur eine funktionierende logistische Drehscheibe in Deutschland versprochen, sondern auch neue Artillerie- und Pionierbataillone. Und wenn das Feldheer vorne nicht hält, dreht die Drehscheibe hinten umsonst.

 

In den letzten drei Jahren ist allerdings nicht allzu viel passiert. Zwar wurden Milliardenvermögen für Verteidigung und Infrastruktur aufgelegt, aber ob dieses Geld sinnvoll verwendet wird, ist mehr als fraglich. So übt u. a. der Militärhistoriker Sönke Neitzel scharfe Kritik und nennt die Bundeswehr unter Verteidigungsminister Boris Pistorius dysfunktional. Er kritisiert den Wasserkopf und die unzureichende Anpassung an die neue Dynamik moderner Kriegsführung. In 70 Jahren Frieden sei die Bundeswehr immer behäbiger und unbeweglicher geworden.

 

Der neue Inspekteur des Deutschen Heeres, Generalleutnant Christian Freuding, sieht  nunmehr erheblichen Zeitdruck, “denn die Lage richtet sich nicht nach unserem Planungszeitstrahl. Der Feind wartet nicht auf unsere „Fertig“-Meldung”, wie er in seinem Tagesbefehl ausführt.

 

Und weiter:

 

“Vieles von dem, was vor uns liegt, werden wir daher gleichzeitig in Angriff nehmen müssen.

 

Nicht immer werden wir zur Erfüllung des Auftrags all‘ das haben, was wir uns wünschten oder auch bräuchten. So manches Mal wird der Funkbefehl und nicht die große Befehlsausgabe das Mittel der Wahl sein. Denn es gilt, in der Umsetzung schneller zu werden. Der rasche Fortschritt ist wichtiger als die perfekte Lösung. Im Gefecht hat das Einfache Erfolg. Wir werden in und mit der Lage leben. Das können wir!

 

Unsere Ambition für das Morgen muss einhergehen mit dem Willen, den Kampf heute aufzunehmen und zu gewinnen – dann, wenn wir gefordert sind, uns und unsere Alliierten zu verteidigen. So wie wir sind, mit dem, was wir haben.”

 

Das heißt auf gut Deutsch: Die Soldaten müssen halt irgendwie kämpfen, zur Not auch mit Besenstielen.

 

Eher noch katastrophaler stellt sich die Infrastruktur dar. Deutschland ist im NATO-Bündnisfall aufgrund seiner zentralen Lage in Europa die logistische Drehscheibe für die Verlegung von Truppen und Material an die Ostflanke einschließlich des Baltikum. Diesbezüglich gibt es auch eine besondere Verpflichtung, die im OPLAN DEU festgelegt wurde.

 

Wie die Bahn in einem Kriegsfall ausreichend zuverlässig für die Verlegungsaufgaben  funktionieren soll, weiß niemand. Straßen als Ausweichmöglichkeiten sind aber auch nicht hinreichend vorhanden; dank der Politik der letzten Dekaden, die Mobilität verteufelte, sind Deutschlands Straßen und Brücken marode, dringend benötigte fehlen völlig. So hat die größte Rüstungsfabrik keine adäquat ausgebauten Straßenanbindung, von einer Autobahn ganz zu schweigen. Diese soll zwar gebaut werden, dass aber bereits seit Jahrzehnten.

 

Mit diesem Tempo ist also nicht einmal eine elementare Verteidigungsfähigkeit in absehbarer Zeit erzielbar, geschweige denn eine gesteigerte.

 

Der Spannungsfall

 

Die Vergangenheit lässt sich nicht mehr ändern. Wie aber kann man schnell und konsequent umsteuern?

 

Wenn der Bundestag in einer Bedrohungslage den Spannungsfall erklärt, können die sogenannten Notstandsgesetze aktiviert werden.

 

Dazu zählen u. a.:
• Wehrpflichtgesetz: Möglichkeit zur Einberufung von Reservisten und zur Verlängerung des Wehrdienstes.
• Arbeits- und Dienstleistungsgesetze (z. B. Arbeitssicherstellungsgesetz): Diese ermöglichen, Arbeitskräfte für wichtige Bereiche (Rüstung, Infrastruktur) heranzuziehen.
• Verkehrssicherstellungsgesetze (z. B. Verkehrsleistungsgesetz): Dadurch werden staatliche Eingriffe in Bahn, Straßenverkehr, Luftfahrt ermöglicht.
• Wirtschaftssicherstellungsgesetze: Diese betreffen Eingriffe in Versorgung (Energie, Nahrungsmittel, Rohstoffe).

 

Durch die Notstandsgesetze erhalten Regierung und Parlament sowohl für den Spannungs – als auch den Verteidigungsfall die notwendigen Instrumente, um schnell zu handeln. Zur Herstellung einer grundlegender oder verbesserten Verteidigungsfähigkeit werden bei Weitem nicht alle Notstandsregeln aktiviert werden; eine Beschleunigung derzeit stockender Vorhaben wäre aber prinzipiell möglich.

 

Der Unterschied zwischen Spannungs – und Verteidigungsfall wird bei der Wehrpflicht deutlich:

 

Im Spannungsfall wird die bisher ausgesetzte Wehrpflicht automatisch aktiviert. Dann können laut Wehrpflichtgesetz Männer nicht nur bis zum 45., sondern bis zum 60. Lebensjahr eingezogen werden. Sofern sie den Militärdienst aus Gewissensgründen ablehnen, müssen sie einen Ersatzdienst leisten, der im Kriegsfall übrigens auch als Sanitätsdienst an der Front denkbar ist. Dazu sind alle verpflichtet, ein Ausreiseverbot zur Durchsetzung ist möglich.

 

Für Frauen hingegen gilt die Wehrpflicht nicht. Im Verteidigungsfall (!) können aber “Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr» zum Dienst in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen oder in der Gesundheitsversorgung verwundeter Soldaten verpflichtet werden. Das deutsche Grundgesetz schließt eine Totalverweigerung aus. Jeder muss seinen Beitrag leisten.”

 

Für die Feststellung des Spannungsfalls hat das Grundgesetz jedoch eine hohe Hürde errichtet. Es ist die sogenannte Verfassungsmehrheit nötig, d. h. 2/3 der Stimmen des Bundestags. Eine solche Mehrheit ist derzeit nicht erkennbar. Die SPD ist nicht einmal bereit, die Aussetzung der Wehrpflicht zurückzunehmen, andere Parteien behaupten, keine Gefahren zu erkennen. Auch solche, die im Allgemeinen die Politik Merkels stark kritisieren, führen diese insoweit nahtlos fort.

 

Abgesehen davon dürfe angesichts des Vertrauensverlustes in die Politik im Allgemeinen und die Regierung im Besonderen der Rückhalt in der Bevölkerung fehlen, ohne den derart einschneidende Maßnahmen nicht durchführbar sind.

 

Es bleibt also offen, wie eine bessere Verteidigungsfähigkeit erreicht werden kann.