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Arnold Vaatz an Georg Milbradt

Arnold Vaatz

Meine sehr verehrten Damen und Herren

(Ich hoffe, Sie tolerieren diese Anrede)!

und vor allem: Lieber Georg!

 

Jetzt bist Du 80! Wir gratulieren Dir natürlich – da spreche ich sicher für alle in diesem herrlichen neuen Albertinum - ganz herzlich. Aber da Du Dich mit Deiner markanten politischen Handschrift dick in die sächsischen Geschichtsbücher eingetragen hast, musst Du jetzt eine festliche Würdigung über Dich ergehen lassen.

 

Was bist Du für ein Mensch? Das Wort „Milbradt“ kommt aus dem slawischen und heißt guter Bruder. Ein guter Bruder sagt seinen Geschwistern die Wahrheit ins Gesicht, auch wenn es weh tut und lässt sie vor allem dann nicht im Stich, wenn es ihnen schlecht geht. Wir sind zwar nicht Deine Geschwister aber so kennen wir Dich.

 

1989 und 90 bebte die politische Erde von Berlin bis Wladiwostok. Politik und Medien im Westen beobachteten als überrumpelte und verdutzte Zaungäste, was sich im Osten tat. Man hatte sich dort längst an die deutsche Teilung gewöhnt. Egon Bahr nannte noch 1989 das Reden über eine deutsche Wiedervereinigung „politische Umweltverschmutzung“ und die CDU hatte gerade noch einmal Glück, dass es auf dem Bundesparteitag 1989 keine Mehrheit für den Antrag von Heiner Geißler gab, das Wiedervereinigungsziel aus dem Grundsatzprogramm zu streichen.

 

Umso größer war die Freude, in Dir, lieber Georg einen Mann kennenzulernen, für den die Revolution im Osten und die deutsche Wiedervereinigung keine narzisstische Kränkung, keine ideologische Provokation und kein reaktionärer Hexensabbat, sondern das am meisten positiv zu beurteilende Ereignis in der europäische Geschichte seit Jahrhunderten war, und dem man vom ersten Tag an die Freude ansah, dabei kräftig mitwirken zu können.

 

Das erste Mal sah ich Dich in der Schevenstraße, dem früheren Gästehaus der Stasi, das für Kurt Biedenkopf und seine Mitarbeiter bereitgestellt wurde. „Professor Doktor“ stand auf seiner Visitenkarte. Du sagtest, Biedenkopf habe Dich gefragt, ob Du das sächsische Finanzministerium übernehmen willst. Du seiest Volkswirtschaftler. Damals hattest Du noch keine grauen Haare und noch nicht die stattliche Figur, die Dich heute ziert.

 

1990 nach Sachsen zu kommen, hieß: Alles änderte sich für die gesamten Familie und zwar mit ungewissem Ausgang. Deine Ehefrau Angelika war Fachhochschulprofessorin in Giessen, Ihr hattet Haus und Freunde in Münster. Auf euch wartete nun eine vierjährige Wochenendehe, ein Umzug nach Sachsen und bis dahin last but not least:  Die legendäre Minister-WG in der Schevenstraße, über die allerhand Anekdotisches nach außen drang. Angelika Meeth-Milbradt, der wir genauso herzlich zu ihrem runden Geburtstag gratulieren, hat sich auf diesen Blindflug eingelassen, weshalb der Dank für Dein Lebenswerk, lieber Georg, sich genauso auch an Dich, liebe Angelika, richtet.

 

Es genügen wenige Wortwechsel, um zu erkennen, dass man in Georg Milbradt einen Mann blitzschneller Auffassungsgabe, analytischer Präzision und enormem Allgemeinwissen vor sich hat. Später lernt man: Er ist völlig uneitel, jedes distinguierte Gehabe ist ihm fremd und gut oder schlecht sitzende Kleidung sind außerhalb seiner Wahrnehmung, am besten vergleichbar vielleicht mit dem hochintelligenten Inspektor Columbo, der zwar - wie lange Zeit Georg Milbradt auch – privat ein altes, zerbeultes Auto fährt, aber jeden Krimimalfall löst.

 

Wenn man heute fragt, was der inflationär gebrauchte Begriff „Nachhaltigkeit“ bedeutet, so kann man in einem Atemzug mit der Carlowitzschen Forstwirtschaftslehre die Milbradtsche Finanz- und Prioritätenpolitik als Beispiel nennen. Ministerkollegen, Kommunalpolitiker oder Abgeordnete, die ihm konsumtive Staatsausgaben oder Subventionen abringen wollten, hatten dicke bis undurchdringliche Bretter zu bohren. Im Kabinett flogen - natürlich auf kultivierte Art - regelmäßig die Fetzen sobald die Wünsche der Kollegen hart auf dem Boden der Milbradtschen Realität aufschlugen. Die Moderationskunst von Kurt Biedenkopf  brachte es immer wieder fertig, dass am Ende meist alles friedlich blieb, aber Georg Milbradt in der Regel nur so viel nachgegeben hatte, wie er sich schon vorher ausgerechnet hatte.

 

Sachsens Staatskonsum wurde drastisch zurückgeschnitten, es entstand Spielraum für Investitionen. Georg Milbradt und sein Pendant im Wirtschaftsministerium, der verstorbene Kajo Schommer und die anderen Kollegen nutzten diese Spielräume entschlossen aus: In heute unvorstellbarer Geschwindigkeit entstand die neue Flughafeninfrastruktur in Leipzig/Halle und in Dresden oder die Neue Leipziger Messe. Die Autobahnen wurden verbreitert, und fortgeführt bis an die Staatsgrenzen. Die Landes- und Universitätsbibliothek in Dresden entstand, ebenso eine völlig neue Krankenhauslandschaft, Schulneubauten und der Wiederaufbau des Dresdner Schlosses.

 

Da Schulden machen aber damals wie heute große Mode war,  blieb Sachsens Sparsamkeit im Bundesmaßstab nur ein Tropfen auf einem heißen Stein. Deshalb war es nur logisch, dass Georg Milbradt  in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder Führungsfunktionen übernahm und dort bald die Gewerkschaften auf freundliche und verbindliche Art das Fürchten lehrte.

 

Milbradts Beobachtungsgabe ist eindrucksvoll. Einmal, auf einem Dorf in der Lausitz, fragte er den Kapellmeister einer Blaskapelle, ob sein Eindruck richtig sei, dass die Instrumente der Kapelle alle nagelneu seien. Der Gefragte, bejahte und erklärte: Man habe jüngst im befreundeten Ausland an einem Bläsertreffen teilgenommen, sei dann mit einem Kleinbus heimwärts gefahren, habe auf dem Weg in einem Wirtshaus gerastet, und als man weiter wollte, sei der Bus samt Instrumenten verschwunden gewesen. Woraufhin sich Georg Milbradts Interesse auf die Finanzierung der Wiederbeschaffung verlagerte.

 

2001 kam es zum Bruch mit Kurt Biedenkopf. Georg Milbradt wurde entlassen. Aber jetzt wurde aus dem Finanzfachmann Milbradt der Kämpfer Milbradt. Nach einem Marathon aus  unzähligen Terminen in den CDU-Kreisverbänden und einigen Regionalkonferenzen wurde er zum Landesvorsitzenden der CDU Sachsens gewählt, nachdem er auf dem legendären Glauchauer Sonderparteitag mit den Worten „lieber Kurt“ dem Ministerpräsidenten, die Hand zur Zusammenarbeit ausstreckte und damit jedem klar machte, dass er dessen erfolgreichen Weg weiterführen will.

 

Nach Seiner Wahl als Ministerpräsident ein halbes Jahr später, ließ Seine Feuerprobe – oder besser Wasserprobe – nicht lange auf sich warten. Im verheerenden Hochwasser 2002 wurde seine Führungsqualität legendär: Den wahlkämpfenden Kanzler Schröder bewegte er geschickt dazu, seinem Fluthilfeangebot mal kurz eine Null hintanzufügen. Er ging schonungslos den Schwachstellen in den Weisungsketten der eigenen Administration zu Leibe, und in gelben Stiefeln sah man ihn direkt an der Wasserfront. In beeindruckender Geschwindigkeit wurden die Schäden beseitigt.

 

Intelligente Menschen setzen oft leichtfertig bei Anderen die gleichen Eigenschaften voraus wie bei sich selbst. Im Fall der von Dir, lieber Georg, gegründeten Sachsen-LB hatte das fatale Folgen. Die Bank war schwindelerregende Risiken eingegangen. Als Verluste in Höhe  eines sächsischen Staatshaushaltes drohten, erreichtest Du eine Schadensbegrenzung auf 2,1 Milliarden Euro. Die Häme darüber war aber schnell verflogen, als kurz danach die Giganten unter den Landesbanken – allen voran die WestLB – wie  Dominosteine ebenfalls umfielen und den Bund um Hilfe anflehten. Als diese Krise überwunden schien, problematisierte Dein Koalitionspartner plötzlich legitime private Entscheidungen von Dir. Das war Dir zu viel und Du tratest nach sechs Jahren an der Spitze des Freistaates am 14. April 2008 zurück.

Aber der Personalmarkt schien nur auf Jemanden Deines Kalibers gewartet zu haben. Du übernahmst eine außerplanmäßige Professur an der TU Dresden, gingst in den Aufsichtsrat der Handelshochschule Leipzig, das Forum of Federations – ein kanadischer Thinktank – wählte Dich zum Chairman oft the Board und warst bei der Endlagersuche für radioaktive Abfälle sowie als Schlichter bei Tarifauseinandersetzungen zu Gange.

 

Eine besondere Fähigkeit von Dir ist es, mit kurzen Worten kollektive Irrtümer aufzuklären. Ein Beispiel:  Anfang der 90er Jahre stritt der Bundestag darüber, wem denn die erwarteten gigantischen Erlöse aus dem Treuhand-Verkauf zustünden. Ich fragte Dich, wie viel denn da an Ertrag zu erwarten sei. Du antwortetest: „Nichts. Schulden. Die Produkte verkaufen sich nicht, die Löhne und Betriebskosten landen als rote Zahlen im Bundeshaushalt.“ Und so kam es. Man hatte mit 400 Milliarden DM Verkaufserlös gerechnet und war nach einigen Jahren bei etwa 200 Milliarden Minus gelandet. Regierung und Opposition im Deutschen Bundestag hatten sich um mehr als eine halbe Billion DM verschätzt. Dass die Deutsche Gesellschaft ob einer solchen Inkompetenz des Gesetzgebers nicht vor Entsetzen aufschreit, sondern achselzuckend zur Tagesordnung übergeht, fand ich damals gespenstisch.

 

Aber das war keine Ausnahme.  In den letzten 20 Jahren haben wir zugelassen, dass Leistungsverweigerung prämiert wird, unsere Solidarsysteme unbezahlbar werden, eine ungeregelte Einwanderung  unsere Gesellschaft spaltet, unsere Infrastruktur bröckelt, unsere Bundeswehr nicht kriegstüchtig ist, unser Energiesystem ohne Hilfe unserer Nachbarn fast jede Woche kollabieren würde, unsere Staatsverschuldung steigt wie nie zu vor, aller Tatkraft im Lande im Dickicht einer monströsen Bürokratie der Schwung genommen wird und eine grundlegende Veränderung nicht in Sicht ist. Das alles ist die Folge einer Kette gravierender politischer Fehlleistungen auf Bundesebene, für die auch ich, der ich dort über 20 Jahre tätig war, Mitverantwortung trage.

 

Alldies ließ sich von Sachsen aus wenig beeinflussen. Deshalb sage ich: Mit Deinen Fähigkeiten hättest Du lieber Georg, der Du ein Glücksfall für Sachsen bist, aber nicht nach Sachsen, sondern nach Berlin gehört.

 

Von Sachsen aus konnte man zwar immerhin die Bildungspolitik gestalten. Hier hast Du klugerweise darauf geachtet, dass das zuständige Ministerium nie in die Hände anderer Parteien fiel. Und wir erreichen hier zwar durchaus Spitzenleistungen, die aber in einem viel mächtigeren allgemeinen deutschlandweiten Trend untergehen: Die Abiturientenzahlen steigen, entsprechend fällt das Sozialprestige der Nichtabiturienten, den nichtakademischen Berufen fehlt das Personal, die Handwerksbetriebe schließen mangels Nachwuchs, die Gesellschaft wird dysfunktional. Und ein Überfluss an akademischem  Prekariat nützt Niemandem.

 

2017 suchte die Bundesregierung einen Sondergesandten für die Ukraine. Interesse für die terra slavica schlummerte ja schon immer in Dir. Du wurdest auf der Flucht aus den damaligen deutschen Ostgebieten geboren, nachdem Deine Mutter hochschwanger, wenige Tage vor der Bombennacht, Dresden verlassen hatte. Mit schon über sechzig Jahren hast Du Intensivkurse in  polnischer und tschechischer Sprache belegt. Du arbeitetest nun 7 Jahre daran, in der Ukraine Grundlagen für kommunale Selbstverwaltung zu schaffen wie einst in Sachsen, nur dass dieses Land noch tief in den korrupten Traditionen postsowjetischer Prägung befangen ist, aus denen es sich erst langsam und erzwungen durch einen nun seit elf Jahren tobenden russischen Angriff herauswindet.

 

Deine Erfahrungen aus der Ukraine werden gebraucht: Und zwar hier. Denn hier ist inzwischen fast vergessen, dass die Not, die uns 1989 unter Lebensgefahr auf die Straßen getrieben hat, keine andere Ursache hatte, als die 44 Jahre währende Unterwerfung unseres Landes unter das repressive System der sowjetischen Besatzungsmacht, an dem der heutige russische Präsident persönlich beteiligt war.

Heute hören wir, dass Viele bis tief in unsere eigene Partei hinein die russische Rechtfertigungsrhetorik nachsprechen, den ukrainischen Präsidenten verspotten, Russland mit geraubtem Land belohnt und die Ukrainer kapitulieren sehen wollen - wobei sie die Frage ausblenden, was auf uns zukäme, wenn ein solcher Ausgang nicht Frieden bedeuten sollte, sondern den russischen Appetit auf mehr anheizt, was der frühere Präsident Medwedjew alle paar Wochen offen androht. Es beschämt, dass der großartige, leider verstorbene frühere tschechische Außenminister Karel von Schwarzenberg offenbar recht hatte, als er sinngemäß gesagt hat: „Die Russen können morden und Greueltaten begehen wie viel sie wollen, angreifen wen sie wollen und lügen wie sie wollen, in Deutschland finden sich immer Leute, die das verteidigen.“

 

Du siehst: Unser  Land braucht Mut und Vernunft statt Realitätsverweigerung. Deshalb kann ich Dir nur ans Herz legen: melde Dich zu Wort, melde Dich immer wieder, wir brauchen Deinen klaren Kopf mehr als je, es ist niemals zu spät.

 

Lieber Georg: Alles Gute für Dich und beste Gesundheit

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit