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“They don´t really care about us”

 

 

 

 

Annette Heinisch


 

Erinnert sich noch jemand an Michael Jacksons “They don´t care about us”? Aufgenommen in einer Favela, einem Elendsviertel in Rio de Janeiro, beschreibt es die ohnmächtige Wut so vieler, die “denen da oben” komplett egal zu sein scheinen. Der Aufnahmeort war gut gewählt, denn wer die Favelas in Rio kennt, weiß, dass viele eine wunderbare Aussicht auf die Häuser der Reichen mit ihren Gärten, Pools und Tennisplätzen haben. Der Gegensatz ist extrem krass.

 

Aber man muss nicht nach Rio fliegen. Man kann sich auch hier des Eindrucks nicht erwehren, dass die meisten Normalbürger “denen  da oben” komplett egal sind. Da wird ganz offen für Planwirtschaft und Rationerung, von Armut für die breite Masse der Bevölkerung geschwärmt, während die “Eliten” selbst prassen.

 

Zwei Nachrichten gegenüber gestellt zeigen, wie krass der Gegensatz ist. Beim Nachrichtenportal Nius wurde die Frage gestellt “Wie viel hart erarbeitetes Geld bleibt im Monat für euch übrig?”. Die Kommentarspalte explodierte, was vorhersehbar war. Wer im realen Leben unterwegs ist, nicht in der abgehobenen Berliner Blase, weiß, dass sehr, sehr viele Menschen wirklich Mühe haben, über die Runden zu kommen. Eine kaputte Waschmaschine ist eine Katastrophe, Urlaub nur noch eine wehmütige Erinnerung und die Hoffnung, dass es besser wird, mittlerweile gestorben.

 

Demgegenüber ist zu lesen: “Bahn feiert ihre »Gemeinwohlorientierung« – für 1,7 Millionen Euro”. Über einem Foto, welches Verkehsminister Wissing neben dem Bahnchef Lutz zeigt, heißt es: “An zwei Tagen feierte die Bahn die Reorganisation ihrer Infrastruktur mit ihren Mitarbeitern und der Politik.”

 

Eine lustige Sause für 1,7 Millionen Euro: Habt ihr eigentlich den Verstand verloren? Oder habt ihr ihn nie gehabt? Wenn man schon nicht so viel Anstand hat, sich solch eine Feier zu verkneifen, müsste einem zumindest der Verstand sagen, dass es eine dumme Idee ist.

 

Das wäre es übrigens selbst dann, wenn es eine wirklich gelungene Reorganisation wäre. Ist es aber nicht. Was ist überhaupt passiert? Die DB Netz, die für die Schienen und die DB Station & Service, die für die Bahnhöfe (inclusive Vermietung und Verpachtung von Ladenflächen) zuständig waren, sind zu einem Unternehmen geworden. Nun könnte man denken, prima, es werden Doppelstrukturen abgebaut, Geld gespart, aber weit gefehlt: Alles Ineffiziente bleibt erhalten, alles bleibt, wie es ist, nichts wird gespart, dafür haben die Gewerkschaften gesorgt. Und die so edel klingende Gemeinwohlorientierung heißt lediglich, dass Gewinne nicht mehr im Konzern bleiben und reinvestiert, sondern an den Bundeshaushalt abgeführt werden. Dort bleiben sie dann verschollen!

 

Aber man sollte nicht nur kritisieren. Eine Veränderung hat die ganze Sache immerhin gebracht. Wer beruflich z. B. mit DB Netz zu tun hatte, erlebt neuerdings das lustige Rätselraten: Wer könnte nun wofür zuständig sein? Keiner weiß es, keiner ist es. Immer wenn man denkt, schlimmer ginge es nimmer, das Chaos ließe sich nicht überbieten, kommt von irgendwo ein Politiker her und belehrt uns eines Besseren.

 

Dieses Beispiel ist symptomatisch: Die Politik verprasst an allen Ecken und Enden unser Geld, lebt auf großem Fuße und der Normalbürger weiß nicht mehr, wie er über die Runden kommen soll. Warum nur fällt mir gerade der Begriff “Ausbeutung” ein? Keine Ahnung, wie ich darauf komme.

 

So war es nicht immer in Deutschland. Es ist auch nicht allein eine Frage der Kompetenz, denn hohe Kompetenz gepaart mit Böswilligkeit ist ja auch keine Lösung. Was man erkennt, ist das Fehlen von Anstand und Integrität.

 

Wer eine führender Position bekleidet, herrscht nicht; er dient. Diese Einstellung ist der entscheidende Unterschied. Friedrich II., auch “der Große “ genannt, sah sich als erster Diener seines Volkes. Weil er dienend herrschte, war seine Leitlinie, dass jeder nach seiner eigenen Fasson selig werden solle, nicht nach dem, was der König gut fand und aufgrund seiner Macht anderen hätte aufzwingen können. Bei ihm gab es auch den Rechtsstaat, dem er sich selbst beugte; die Mühle hinter seinem Schloss Sanssouci legt beredtes Zeugnis davon ab.

 

Die Zeiten des Friedrich II. bezeichnet man als aufgeklärten Absolutismus. Unter seiner Herrschaft lebten die Bürger jedoch freier und sicherer, der Rechtsstaat war besser gewährleistet als heute, obwohl es kein demokratisches System war. Heißt das, dass ich die Demokratie ablehne? Mitnichten. Aber es zeigt, dass auch ein prinzipiell kritikwürdiges System mit einem guten Herrscher funktionieren kann. Umgekehrt erleben wir gerade, dass auch ein gutes System mit den falschen Leuten an der Macht dysfunktional wird.

 

Vielleicht wäre es also angeraten, sich intensiver mit der Frage zu befassen, wer überhaupt Macht bekommen sollte, wer der Führungsverantwortung gewachsen ist? Auszuschließen sind z. B. ganz grundsätzlich Menschen, die ihre eigenen Vorstellungen vom guten und richtigen Leben anderen aufzwingen wollen. Sie nutzen die Demokratie, um daraus eine Diktatur der Mehrheit zu machen. Dass denken übrigens wirklich viele, dass alles erlaubt ist, wenn nur die Mehrheit es will. Sie merken nicht einmal, dass das nur eine andere Form der Diktatur und damit das Gegenteil von Demokratie ist. Wer so denkt, dem fehlt das elementare Grundverständnis des Staates.

 

Es sind genau betrachtet Fragen des Charakters, um die es geht. “Als „Herrschaft der Besten“ (griech. „aristoi“) wird die „Aristokratie“ an Tugenden wie Verstand, Tapferkeit, Besonnenheit oder Gerechtigkeit festgemacht.” Adel ist eine Frage des Charakters, nicht der Herkunft. So gesehen wäre die Staatsführung wirklich etwas für den Hochadel!