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Die Mitte – wo ist das?

 

 

 

 

Annette Heinisch


 

Mittlerweile pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass sich etwas im liberal – konservativen Spektrum tut. „Jetzt laufen Vorbereitungen, die Kräfte im Spektrum zwischen CDU und AfD zu bündeln“, titelt die Welt. Sie berichtet:

 

„In den seit mehreren Monaten laufenden Gesprächen zwischen Einzelpersonen und bereits bestehenden Vereinen und Parteien aus diesem Spektrum steht sowohl die Gründung einer neuen Partei im Raum, als auch der gemeinsame Beitritt zu einer bereits bestehenden Partei wie dem im vergangenen Jahr gegründeten Bündnis Deutschland. Ob eine solche neue Vereinigung tatsächlich verwirklicht wird, ist noch nicht beschlossen. Ziel führender an den Verhandlungen beteiligter Personen ist der erstmalige Antritt bei der Europawahl im Juni. Inhaltliche Leitlinien sollen etwa eine restriktive Migrationspolitik und einen starken Rückbau der Kompetenzen und Institutionen der Europäischen Union beinhalten. Einen Ausschluss einer Koalition mit der AfD soll es nicht geben.“

 

Politisch Informierte wussten bereits früher mehr. Dass der Unternehmensberater, Publizist und ehemalige Degussa – Goldhandels Chef Markus Krall eine Partei in diesem Spektrum gründen will, ist schon länger bekannt. Dass es darüber hinaus auch weitere Bestrebungen gibt, beispielsweise in Thüringen ein breiteres Bündnis zu schmieden und eine neue Wahlalternative für die EU – Wahl 2024 anzubieten, auch. Die Bürgerrechtlerin, ehemalige CDU – Bundestagsabgeordnete und Achse – Autorin Vera Lengsfeld hat auf ihrem Blog derartige Pläne kommuniziert. Sie hat bis Ende des Jahres ihren Blog auch als Kampagnenseite zu Verfügung gestellt, weil sie Deutschland an einem Scheideweg sieht, denn „durch jahrzehntelanges falsches Regieren und ein Mittuen auf allen gesellschaftlichen Ebenen von Medien, über Wissenschaft, Industrie, Kirchen und anderen gesellschaftlichen Akteuren ist unser Land an einem Punkt, wo unser Wohlstand, unsere Zukunftsfähigkeit und unser sozialer Zusammenhalt massiv gefährdet sind.“

 

Daher unterstützt sie ausdrücklich die Bemühungen für ein liberal – konservatives Bündnis für Europa und ein Bündnis für Thüringen, welche sich für die kommenden Wahlen rüsten.

 

Die industriepolitischen Grundsätze für die EU – Wahl dürften nicht nur die Herzen von Unternehmern höherschlagen lassen, das Konzept der „Perikles“ Plattform ist zudem innovativ:

 

„Perikles EU erfordert keine langfristige Parteizugehörigkeit und versucht strukturinterne Schiebereien und Klüngeleien soweit es möglich ist gar nicht erst entstehen zu lassen.“

 

Natürlich kommt, kaum dass die Pläne publik werden, Gegenwind. Eine neue Partei zwischen Union und AfD sei absolut unnötig, meint Jacques Schuster in der Welt. Die Union habe sich geändert, wer Wandel wünsche, habe mit der Merz – Union die besseren Chancen.

 

Diese Ansicht teile ich nicht. Warum? Ganz einfach:

 

1.       Unterstellt, die Union habe sich tatsächlich zuverlässig gewandelt und würde auch stärkste Partei – mit wem will sie regieren?

 

Unterstellt, die FDP käme wieder in den Bundestag, was derzeit eine optimistische Annahme ist, würde es für eine Koalition nicht reichen.

 

Eine Koalition mit der AfD hat sie ebenso ausgeschlossen wie eine Tolerierung oder auch nur Duldung.

 

Wie also soll ein Politikwechsel gelingen? Anders ausgedrückt: Warum soll derjenige, der einen Wechsel möchte, die Union angesichts dieser Lage wählen?

 

 

 

Der Moment, in dem der Vorschlag von Prof. Andreas Rödder empört zurückgewiesen wurde, die Inhalte an erste Stelle zu setzen, besiegelte das Schicksal der Union. Rödder brachte eine Minderheitsregierung ins Spiel, bei welcher die Union selbstbewusst eigene Positionen vertreten und Mehrheiten durch welche Stimmen auch immer akzeptieren solle.  Ein konservativer Wandel und die glaubhafte Chance auf einen Neuanfang wären die Möglichkeit der Union gewesen, weitere politische Konkurrenten überflüssig zu machen; sie hat sie verspielt.

 

 

 

2.       Die obige Schilderung betrifft das best case – Szenario aus Sicht der bisherigen Parteien. Sie unterstellt, dass die Parteien Wähler binden und/oder zurückgewinnen können. Dabei wird aber m. E. der Umfang des Vertrauensverlustes verkannt. Schon vor Corona war das Vertrauen der Bürger in Parteien im Schwinden begriffen, der Umgang mit der Pandemie hat aber nicht nur die Quantität der Entfremdeten erhöht, sondern auch die Qualität der Entfremdung. Es kommt ja nicht nur darauf an, wie viele Wähler verloren wurden, sondern auch, wie stark der Widerwille ist. Das nahezu einheitliche Verhalten der Parteien, jede rote Linie mit Schwung und voller Selbstgerechtigkeit zu überschreiten, hat nicht nur der AfD erheblichen Zulauf beschert, sondern auch zu einem unüberwindbaren Graben geführt. Es gibt zu viele Bürger, die definitiv auch die Union nie mehr wählen werden. Einige mögen zurückzugewinnen sein, falls die Union ernsthaft Einsicht und Reue zeigte und durch ehrliche Aufarbeitung beweisen würde, dass sie es ernst meint. Aber davon ist nichts in Sicht und es bleibt ein durchaus erheblicher Rest, der dauerhaft verloren ist.

 

 

 

Die Union wird mithin weder alle potentiell möglichen Stimmen bekommen noch eine Mehrheit, die ihr allein das Regieren ermöglicht. Dann aber steckt Deutschland in einer Endlosschleife des Abschwungs. Allesamt, d. h. SPD, Union, Grüne und FDP haben es dermaßen vermasselt, dass sie wie eine Resterampe der Politik wirken. Ein Neuanfang scheint mit ihnen nicht möglich, auch das ist ein Grund des Zulaufs zur AfD.

 

Ganz allgemein hat das liberal – konservative Lager momentan erhebliche Orientierungsprobleme. In den USA würde eine Nikki Haley mühelos gegen Joe Biden gewinnen, wenn sie denn die Vorwahlen in der eigenen Partei, den Republikanern gewönne. Sie fährt nicht nur einen harten Kurs gegen „Wokis“ und illegale Migration, sondern auch gegen die Aggressionen von Russland und der Hamas. Die Mehrheit der US – Bürger würde sie dabei unterstützen. Ebenso wie sie ist der argentinische Präsident Javier Milei, der neue Stern am freiheitlichen Himmel, auf Seiten der Ukraine und Israels. Wer Freiheit, Rechtsstaat und Menschenrechte möchte, gibt diese nämlich weder nach innen noch nach außen preis.

 

Demgegenüber gibt es rechte Strömungen, die zwar die Feinde der Freiheit im Inneren sehen, nicht aber jene von außen. Angesichts der kriegerischen Zeiten ein Fehler, den sich die westliche Welt ganz sicher nicht leisten kann. Hierin liegt auch derzeit die Schwäche des liberal – konservativen Lagers: Aufgrund der Versäumnisse der Merkel – Jahre hat gerade Deutschland enormen Nachholbedarf im außen – und sicherheitspolitischen Spektrum. Eine klare Haley – Milei – Linie fehlt jedoch. Die Union ist weder willens noch in der Lage, eine solche Linie zu vertreten. Ein klarer und einheitlicher Standpunkt, der den Schutz und den Wohlstand der Bürger in den Mittelpunkt stellt, ist derzeit in Deutschland nicht erkennbar. Hier wird sich manches noch sortieren müssen.

 

Dennoch ist die Entwicklung ein Lichtblick und Lebenszeichen der Demokratie.