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Zitrone und Milch

 

 

 

 

Annette Heinisch


 

Haben Sie einmal versucht, Zitrone mit Milch zu mischen? Wenn nicht, lassen Sie es. Es kommt nämlich nichts Gescheites dabei heraus, die Milch flockt lediglich aus. Die Zitronensäure führt zur Denaturierung des Eiweißes, dieses gerinnt. Nur dann, wenn man sozusagen in ein Meer von Milch einen Tropfen Zitrone gibt, mag das Mischungsverhältnis so sein, dass die Milch sich von der Zitrone nicht beeinflussen lässt.

 

Warum bringe ich dieses Beispiel? Viele werden wahrscheinlich sofort an die Probleme der Migration denken. Es scheint ja so zu sein, dass eine gewisse Art von Zuwanderung nicht sonderlich bereichernd ist. Aber so naheliegend der Vergleich auch ist, tatsächlich geht es mir nicht um diese Frage, sondern um die Regierung.

 

Für viele (gerade im Medienbereich) ging ein Traum in Erfüllung: Hauptsache die Grünen an die Macht, dann gerne noch mit der Komplementärpartei SPD. Für liberal halten sich viele Grüne selbst, so dass die FDP nicht allzu sehr stört. Sie kann eher als Turbo eingesetzt werden, mit ihr funktioniert das „anything goes“ noch besser.

 

Nun aber ist der Traum an der Wirklichkeit zerplatzt. Nicht zu Unrecht wird die Regierung als „Ampel des Grauens“ bezeichnet, selten hat eine Regierung so sehr gegen das Volk regiert wie diese.

 

Was nun? Wenn nicht das, was dann? Die Orientierung fehlt. Das Problem ist, dass diese schon längst verloren gegangen ist.

 

Es gibt zwei Arten von grundlegenden Einstellungen zum Staat: Bei der einen ist der Staat mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Die andere lautet: Ich bin kein Schaf.

 

Beide Staatsauffassungen sind so konträr wie Milch und Zitrone. Guido Westerwelle hat in seiner legendären Rede von 2011 davor gewarnt, dass Freiheit zentimeterweise stirbt. In Zeiten von Unsicherheit würden Bürgerrechte mit gutklingenden Begründungen scheibchenweise eingeschränkt. Er fügte – und das war wichtig - hinzu, dass Freiheit nicht durch Politiker stirbt. Gefährlich würde es, wenn die Bürger ihr eigenes Immunsystem vergessen, dass sie wappnet gegen Bedrohungen der Freiheit, denn man könne unter dem Vorwand der Sicherheit jedes Freiheitsrecht nahezu unbeschränkt begrenzen. Sein flammendes Plädoyer war eines für einen Staat selbstbewusster Staatsbürger, nicht – wie Westerwelle ausdrücklich formulierte - von Staatskunden oder Untertanen.

 

Hier sieht man den entscheidenden Unterschied: Der Bürger ist nicht Kunde und nicht Untertan.

 

Genau das war der Markenkern der Liberalen. Dieser ist das Gegenteil der Staatsvorstellung der Parteien im rot – grünen Spektrum. Bei dieser Grundsatzfrage, ob man einen Staat der Bürger oder der Untertanen (Kunden) möchte, gleichgültig ob man es gelenkte Demokratie, Nanny – Staat oder sonst wie nennt, gibt es keine vermittelnde Ansicht. Das ist wie bei einer Vergewaltigung, es gibt nicht „ein bisschen Vergewaltigung“, die in Ordnung ist. Für Bürger, die erwachsen sind und selbstbestimmt leben können und wollen, kommt die übergriffige Verhaltenssteuerung unseres Staates einer Vergewaltigung gleich.

 

Sachlogisch gibt es also kein linksliberal, denn links (also Steuerung durch den Staat) zerstört die selbstbestimmten Entfaltungsmöglichkeiten des mündigen Bürgers und ist niemals liberal. Staatssteuerung ist letztlich die Fortführung der tradierten, in Jahrhunderten geprägten Herrschaftsverhältnisse mit der Führung durch eine kleine Klasse und der Masse als Untertan. Damit handelt es sich um eine reaktionäre Ideologie. Der mündige Bürger, als Gegenentwurf, ein Produkt der Aufklärung, muss nach wie vor um seinen Platz im politischen Gefüge kämpfen. Diese moderne Strömung hat sich erkennbar noch nicht durchgesetzt. Entscheidend ist aber, dass der gelenkte Untertan und der freie Bürger auf zwei sich ausschließenden Grundwerten beruhen.

 

Bereits nach der Wahl 2021 schrieb ich daher, dass rot – grün das Gegenteil von liberal sei. In dem Artikel, der in die Rubrik „Wir haben es gesagt“ fallen könnte, prognostizierte ich auch, dass die FDP in einer Ampel – Koalition nur verlieren könne und werde.

 

Es war klar, dass dieses passieren musste. Die FDP hätte nie eine Koalition mit ihren politischen Gegnern eingehen dürfen, egal, was die Medien sagen.

 

Viktimisierung

 

Als ich klein war, schockte mich mein Vater mit dem Satz: „Ich würde niemals eine Partei wählen, die für sozial Schwache eintritt.“ Mein Vater sah mein entsetztes Gesicht und erklärte mir, dass eine Partei, die für Schwache eintrete, in einer Demokratie zwingend viele Schwache benötige, um Wahlen zu gewinnen. Er aber wolle, dass die Bürger dieses Landes stark und wohlhabend seien. Außerdem, so meinte er, würde das eine fatale Entwicklung in Gang setzen, denn man könne Menschen an Wohltaten wie Subventionen und Zuschüsse gewöhnen, aber diese wieder wegzunehmen, ginge nicht so einfach. Dann würde der Staat mit der Zeit übermächtig. Dass er mir damit erklärte, warum das früher vielbejubelte Modell des antizyklischen staatlichen Intervenierens, entwickelt vom Ökonomen John Maynard Keynes, nicht funktioniert, wurde mir erst Jahre später klar.

 

Im ersten Moment klingt es paradox, dass ich sozial Schwachen schade, wenn ich Parteien wähle, die für sie eintreten. Bei näherer Überlegung ist es aber logisch. Für meinen Vater als Kaufmann war dieser Zusammenhang ganz offensichtlich: Stimmenanteile waren für ihn nichts anderes als Marktanteile der Macht. Wer also sein Marketing auf Rettung von Benachteiligten und Opfern aufbaut, braucht von jenen möglichst viele.

 

Unter diesem Blickwinkel beobachtete ich die Entwicklung Deutschlands in den folgenden Dekaden. Die wirkliche Armut verschwand, allerdings nicht wegen der „sozialen“ Parteien, sondern der „bösen“ Konservativen. Das war ein Problem, denn weniger Benachteiligte führten zu weniger Wählerstimmen. Also wurde die „relative Armut“ erfunden. Anschließend wurden immer neue Opfergruppen installiert, Frauen, Migranten etc. Reichte diese nicht, wurde der Fundus durch den Import von Hilfsbedürftigen aufgestockt.  Die staatlich bezahlten Stellen nehmen sprunghaft zu, auch die meist staatlich finanzierte „Retterindustrie“ weist ein exponentielles Wachstum auf.

 

Das Geschäftsmodell funktionierte so prächtig, dass sich die anderen Parteien daran ein Beispiel nahmen. Man soll ja schließlich von „best practice“ lernen. Für eine Partei steht mitnichten die Sicherung einer guten und erfolgreichen Zukunft Deutschlands im Vordergrund, sondern vor allem die eigene Zukunft. Parteien sind letztlich nichts anderes als Unternehmen. Es ist klar erkennbar, dass die Macht einer Partei umso größer ist, je mehr Macht der Staat hat. Das bedeutet zugleich, dass man mehr Posten an Funktionäre vergeben kann. Anders ausgedrückt: Die Variante, der Staat ist mein Hirte, ist für Parteien profitabel. Dafür benötigt man aber möglichst viele Schafe.

 

Parteien, die für einen starken Bürger sind, nehmen sich also damit selbst Wachstumschancen. Wer aber kann von einer Partei ernsthaft erwarten, dass sie derart altruistisch handelt? Merkel, machtorientiert und ohne moralischen Kompass, hat das klar erkannt und den Kurs der Union, der dem der Liberalen in dieser Grundfrage ähnelte, geändert. Die Viktimisierung des Bürgers als Mittel der Machtausweitung und Sicherung eigener finanzieller Pfründe schritt fort.

 

Das führt logisch zwingend zum Niedergang des Staates. Bei den Grünen ist er sogar ausdrücklich gewollt, ihr politisches Ziel ist Deindustrialisierung und Verarmung breiter Massen, was ihnen enorme Lenkungsmöglichkeiten und damit Macht gibt.

 

Nun hätte jeder erfahrene Kaufmann auf zwei Probleme hinweisen können, die auf Märkten entstehen, gleichgültig ob auf dem politischen oder wirtschaftlichen:

 

Das erste Problem ist, dass wenn ein Bedarf nicht gedeckt wird, neue Unternehmen in den Markt eintreten. Das war auch hier der Fall. Die Hoffnung, durch Kartellbildung eine dauerhafte Marktabschottung zu erreichen, hat sich noch nie erfüllt, sie klappt auch im politischen Markt nicht.

 

Das zweite Problem ist, dass man einem Kunden einmal oder vielleicht auch zweimal minderwertige Ware andrehen kann, aber dann ist Schluss. Kaufleute wissen, dass Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit die entscheidenden Kriterien beim Aufbau einer langfristigen Geschäftsbeziehung sind. Wer sich auf seinen Geschäftspartner blind verlassen kann, der ist sogar bereit, einmal höhere Preise zu zahlen. Die Marketing – Abteilungen mit ihren tollen „Narrativen“ können zwar einen schnellen Erfolg erzielen, niemals jedoch einen langfristigen sichern. Wie gesagt, Kaufleute wissen das. Politiker (und viele Medien) lernen es gerade.

 

Zu viel Lenkung führt letztlich zur Unlenkbarkeit. Zu viele Bürger haben schlicht die Nase voll davon, dass ihre Interessen an einem Leben in Sicherheit und Wohlstand nicht berücksichtigt werden. Durch das Umschwenken auf die Linie derjenigen, die sozusagen viele Schafe als Wähler wollen, haben die Parteien, die einmal die Würde des Menschen anerkannten und sich entsprechend verhielten, ihre Unzuverlässigkeit bewiesen. Dumm gelaufen!