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Der deutsche Untertan - Vom Denken entwöhnt

 

Die einseitige deutsche Medienwelt verarmt zusehends. Josef Kraus ist einer der vielen klugen Leuten, die aus dem Diskurs ›entschwunden wurden‹. Wo er zu sehen war, kam streitbare Kompetenz in Bildungs-, Erziehungs- und Sprachfragen auf den Bildschirm. Seine politische Heimat im Wählerumfeld einer ehemals klar aufgestellten CSU war für mich nie ein Hindernis, sich nicht an ihm, seinem Wissen, seiner Logik und seinen Positionen zu erfreuen. Inzwischen kam ihm seine politische Heimat ebenso abhanden, wie es seit 2015 vielen Millionen von Unions- und SPD-Wählern erging. Deutschlands Statik ist stark verbogen. Daran sind nicht nur viele ›Regierige‹ schuld, der Autor sieht das Versäumnis auch bei vielen Regierten – bei deutschen Untertanen.

 

»Vor allem ein braves Volk hat die Obrigkeit, die es verdient, und eine solche Obrigkeit hat denn auch das Volk, das sie braucht«, so eines der prägnanten Zitate historischer Persönlichkeiten aus seinem neuesten Buch und es folgen hier gleich noch ein paar mehr: »Die Tyrannei beruhe nicht auf Gewalt, sondern auf Unterwerfung:« (Etienne La Boétie1530-1563 – von dem auch das erstgenannte stammt). »Es gibt kein gutmütigeres, aber auch kein leichtgläubigeres Volk als das deutsche« (Napoleon 1769-1821). »Untertanentreue ist ein so schönes Gefühl! Und es ist ein wahrhaft deutsches Gefühl!« (Heinrich Heine 1797-1856) »Ein Deutscher ist großer Dinge fähig, aber es ist unwahrscheinlich, dass er sie tut: denn er gehorcht, wo er kann…« (Friedrich Nietzsche 1844-1900).

 

Und so geht es in einem Parforceritt weiter über Thomas Mann, Winston Churchill, Gordon A. Craig, Carl Zuckmayer und seinem Hauptmann von Köpenick bis zu Lenin und dessen Satz »Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas, wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte.« Josef Kraus weiß, wo die Einschätzungen des deutschen Untertans abzuholen sind.

 

So kommt er auch auf die einzige vom Volk ausgegangene und erfolgreiche deutsche Revolution von 1989/90 zu sprechen, die in den Augen des von ihm zitierten Massenmörders Lenin sicherlich keine Revolution war. ›Friedlich‹ und vom Volk? Lenin war Jakobiner, Revolutionen ohne Blut und viele Tote waren für ihn keine Revolutionen. Möglicherweise wäre er über den Anspruch ›Friedliche Revolution‹ vor Lachen nicht in den Schlaf gekommen und hätte gejohlt: ›Ach, diese Deutschen! Nennen so was Revolution? Aus denen wird nie was!‹

 

Josef Kraus ruft uns Immanuel Kant und dessen drei Kritiken der reinen Vernunft (1781), der praktischen Vernunft (1788) und der der Urteilskraft (1790) in Erinnerung, mit denen Kant sich gegen eine Metaphysik wendet, die sich als Wissenschaft ausgibt. Wobei wir dann wohl schon bei der Bundeskanzlerin wären, die von Berufs wegen Physikerin ist und seit sie ergrünte, eher metaphysisch daherkommt. Wo Angela Merkel in Leipzig zu DDR-Zeiten noch gelernt hat, dass »quod erat demonstrandum« für Naturwissenschaftler ein wichtiger Grundsatz im notwendigen Diskurs von „These und Antithese“ ist, gilt heute dank ihrem Wirken sehr moralisch aufgesetzt »zu beweisen ist, was politisch paßt«- Good old Germany verarmt auch in wissenschaftlicher Sicht.

 

Es war ein kurzer Schritt von der Wissenschaft zur Gefälligkeitswissenschaft. Kant müsste erneut Bücher schreiben. Auch zur Aufklärung, der er sich schon 1784 in seinem Essay »Was ist Aufklärung?« widmet. Leider kann er das nicht mehr, im Olymp der Geistesheroen gibt es kein Papier, nicht einmal ein iPhone oder Notebook. Dafür macht das beispielsweise Josef Kraus. Danke!

»Mut machen zum Widerspruch«: Josef Kraus wirft dem deutschen Michel vor, zu großen Teilen alles mitzumachen. Sei es die Preisgabe nationaler Souveränität, die schleichende Umwandlung der Demokratie in eine Demokratur, der Selbsthass gegen alles Deutsche, die EU-Schulden-Transferunion, der Schein-Heiligenschein der Parteien Grüne/Bündnis 90 und Die Linke, die Umwandlung der Parlamente in Akklamations-Volkskammern, das Beschweigen von Straftaten, die Abwertung der ›alten weißen Männer‹, die Pathologisierung Andersdenkender, die Anbiederung an pubertäres Gehabe, der fortschreitende Verlust des antitotalitären Konsens, die staatliche Alimentierung der Antifa …

 

… wobei: Letzteres scheint mir preiswerter für den Staat zu sein; denn ein eigenes Ministerium für Staatssicherheit mit vielen tausenden Beamten, vielen und teuren Immobilien usw. hätte zwar den Vorteil streng reglementierter Maßnahmenpläne für den Umgang mit missliebigen Zeitgenossen, wäre aber unendlich viel teurer als ein Hundertmillionenprogramm für politisch einseitiges zivilgesellschaftliches Engagement auf dem Niveau bedingungslosen Grundeinkommens für Aktivisten. Außerdem macht sich der Staat in dem Fall nicht selbst die Finger schmutzig.

 

Noch sehr vieles mehr zählt der Autor auf. Ihm geht es »um kritisches Wahrnehmen versus Eingelulltsein, um Mündigkeit versus Unmündigkeit. Und um drängende Fragen: Ist der Deutsche dabei mit neuen (oder alten) Ismen und Ideologien, mit neuen Zivil- und Ersatzreligionen in eine subaltern prä-aufklärerische Epoche zurückzufallen? Hin zu neuen Autoritarismen, zu neuen totalitären Fantasiereichen?«

 

»Wer eigentlich ist der Souverän? Hat das Volk die Regierung und die Meinungsbildner, die es verdient? Es geht um eine Abkehr des Souveräns von herrschenden politischen und medialen Autoritäten mithilfe eigenen Nachdenkens – des Nach-Denkens, nicht des vielfach geadelten, visionären Vordenkens!« Die Schwerpunkte des Buches wären als Zettel hinter den Spiegel des vom Denken entwöhnten deutschen Untertans geeignet: »Der brave Deutsche«, »Alte und neue linke Autoritarismen«, »Das Arsenal des Gefügigmachens«, »Die Akteure des Untertanengesites«, »Immunisierung gegen Obrigkeitsgehabe«.

 

In seinem »Vom Untertan zum Drachenbezwinger« betitelten Nachwort appelliert der Autor: »Bürger holt Euch Eure Souveränität zurück!«

 

Josef Kraus durchleuchtet ein Universum politisch zugelassener und beförderter Unappetitlichkeiten. Die Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2021 ist (noch?) nicht die DDR, schmeckt aber an vielen Stellen so. Der Souverän ist Objekt tiefen Misstrauens geworden. Wer nicht Merkels grünlinke Haltung einnimmt, ist Abweichler. Zum Volksfeind ist es dann nicht mehr weit. Die Republik steht nach sechzehn Jahren Merkel in ihrer härtesten Bewährungsprobe. Die Aussichten sind nicht gut.

 

»Von der Nächsten- zur Fernstenliebe: Humanismus und Moralismus …« Das Adjektiv ›humanitär‹ klingt immer gut, es verbirgt sich dahinter allerdings eine ideologische Grundierung. Oder eine Lüge, wie Carl Schmitt 1932 meinte: »›Moral ist wie Humanität keine Rechtsquelle … In einem Staat, in dem eine Gesellschaft zusammenlebt, können nur das Gesetz und die Verfassung die maßgebende Linie sein. Keine sogenannte Moral darf sich darüber erheben. Andernfalls ist der Rechtsstaat am Ende.‹«. Angela Merkel und ihre Entourage in fast allen Parteien, Kirchen und Gewerkschaften haben nach Carl Schmitt (und Josef Kraus) den Rechtsstaat lädiert.

 

Dringend gesucht: Maß und Mitte
Deutschland heute: „Nur ein schlechtes Gewissen ist ein gutes Gewissen“

 

Inzwischen kann sogar dem Bundesverfassungsgericht nicht mehr getraut werden. Frau Merkel hat es zu einem Parteigericht degradiert. Aus Karlsruhe wird sie anders als ihre Vorgänger keinen rechtsstaatlich begründeten Gegenwind erhalten. Auch das schmeckt nach DDR. Die jüngsten Urteile zur Klimapolitik und zur GEZ sind anders als merkeltreu nicht zu verstehen. Sollten Klagen gegen den UN-Migrationspakt in Karlsruhe landen, muss sie sich auch nicht sorgen. Der Durchpeitscher der Bundestagszustimmung auf Unionsseite ist inzwischen Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Er wird seine Arbeit nicht kassieren. Auch dazu Vertiefendes bei Kraus im Kapitel »Personalpolitik nach Gutsherrenart«.

 

Josef Kraus beleuchtet die lädierte Republik in umfassender Weise und aus jedem rechtsstaatlichen Winkel. Unter den Stichworten »Souverän«, »Freiheit«, »Eigenverantwortung«, »Sozialismus-Recycling«, »Liberalismus ade«, »Stärkung der Eigenverantwortung durch Stärkung der Familien«, »Nachdenken über die Grenzen des Staates«, »Wir brauchen gebildete Eliten!« … lässt der Autor nichts aus.

 

Um mit einem letzten Appell von Josef Kraus abzuschließen: »Bildung geht nicht ohne Anstrengung«. Dahingehend empfehle ich die Lektüre seines Buches »Der deutsche Untertan«; das Vergnügen daran trägt zur eigenen Bildung bei.

 

 

 

Gunter Weißgerber, studierter Ingenieur für Tiefbohr-Technologie, ist derzeit Unternehmensberater und Publizist. Er war Mitglied des Neuen Forums, Gründungsmitglied der Leipziger SDP, von 1990 bis 2009 Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der sächsischen Landesgruppe der SPD-Bundestagsfraktion. Den Deutschen Bundestag verließ er 2009 aus freier Entscheidung. 2019 trat er aus der SPD aus.

 

 

 

Josef Kraus, Der deutsche Untertan. Vom Denken entwöhnt, LMV, Hardcover mit Schutzumschlag, 352 Seiten, 24,00 €