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Meine persönliche Milch-Geschichte

Meine persönliche Milch-Geschichte

Ich bin Milchtrinker. Zwar genieße ich auch gern Wein, doch das ist hier und jetzt nicht das Thema.

Zur Milch. Frische Milch soll es sein, unbedingt. Und die ist wohlschmeckend immer schwieriger zu bekommen. Nach H-Milch schmeckt inzwischen leider auch die Milch, auf der "Frischmilch" drauf steht. Ich fühle mich regelrecht milch-beschissen.

Angefangen hat das mit meinem sensiblen Milchgeschmack im Annaberg-Buchholz/Erzgebirge mit der Frischmilch des schon lange nicht mehr existenten privaten Molkereigeschäfts in der Haldenstraße in den Fünfzigern des letzten Jahrtausends.
Damals kauften wir alle, jedenfalls im Osten, die tägliche Milch mit der Milchkanne. Die Mutter drückte einem die Kanne in die Hand und (ab und an) mit einem freundlichen Stups aufs Hinterteil ermuntert ging es ab zum Milchkaufen.

Das war landauf, landab wohl überall ähnlich. Nicht aber so, wie es dann in der Haldenstraße in Annaberg weiterging. Dort wurde die Milch nicht etwa tröge mit einer gewöhnlichen Kelle aus einer großen in die mitgebrachte kleine Kanne gefüllt. Nein! Der kleine Privatmann, der 1972 wohl endgültig der Verstaatlichung und der Kombinatseinbindung anheimfiel, der muss Westverwandtschaft gehabt haben, seine Technik „sprach“ jedenfalls diese Sprache.
In seinem Laden floss die Milch wie aus einem gläsernen Biertresen in die mitgebrachte Kanne. Das war für mich Knopf eine tolle Sache und Milchholen war mir eine interessante Aufgabe. Der Stups aufs Hinterteil war eigentlich nie vonnöten und wurde nur der Ordnung halber unverzichtbar angewandt. Was bei mir keine bleibenden Schäden hinterließ, hoffe ich. Die Milch jedenfalls, die war fettreich und schmeckte.
1965 zogen wir von Annaberg nach Böhlen bei Leipzig. Der Umzug war der politischen Verfolgung meines Vaters geschuldet. Meinem Milchtrinken hingegen tat das keinen Abbruch. Nur der technische Abstieg vom gläsernen Milchtresen zur nunmehr obligaten Milchkelle war nicht sehr interessant. Die Milch schmeckte immer noch.

Auch in meiner Schulzeit in Böhlen und Borna blieb ich der Milch treu. Täglich eine Viertel-Literflasche in der Pause. Auch diese Milch schmeckte, jedenfalls in den ersten Jahren. Irgendwann allerdings wurde sie dünner. Es hieß politisch aufbereitet, „zu viel Milchfett sei ungesund“. Heute wissen wir, es war die Mangelwirtschaft und hier besonders der im Osten fehlende EWG-Butterberg, die die Milch dünner werden ließen.  Geschmacklich war das nun nicht mehr so toll. Aber okay, das Trinkerleben bestand bald schon nicht mehr nur aus Milchtrinken.

Irgendwann in den 80ern wurde es aber dann doch ein bisschen gemein, das mit der Milch. Klammheimlich hatte die nur noch 0,8 Prozent Fettanteil. Weißes Wasser mit Milchgeschmack, da war Überwindung angesagt, um bei der Milch zu bleiben. Ich überwand mich. Und vergaß nach und nach, wie gut Milch schmecken konnte.

Dann kam die H-Milch. In der DDR nicht immer und nicht überall, in Ostberlin fast immer und fast überall.
Soviel zum Unterschied DDR und Ostberlin. Was übrigens auch eine Menge darüber aussagt, weshalb die Friedliche Revolution in der Zone und nicht in Ostberlin begann, nicht wegen der H-Milch, wohl aber auch wegen der Ungleichbehandlung zwischen der sogenannten Hauptstadt der sogenannten DDR und den Ostbezirken. So mancher Ostberliner sagte damals, er fährt in die DDR, wenn er von Pankow nach Leipzig "trabbiete".

Die H-Milch, die auch ich manchmal in das Glas bekam, verdeckte die 0,8-Pozent-Frischmilch-Kalamität. Die H-Milch schmeckte, ob sie wollte oder nicht, auf Grund ihres höheren Fettanteiles nun besser als das Frischmilchwasser. Eins zu null für die H-Milch aus Mangelwirtschaftsgründen.

Das mit dem Geschmack der Frischmilch hatte ich irgendwann vergessen und freute mich nach 1989 über die vielen H-Milch-Tetrapaks in den neuen Märkten. Das die auch Frischmilch führten blieb mir unbekannt. Jetzt kaufte ich haufenweise diese Tetrapacks und hortete so Milch, um nicht jeden Tag dafür einkaufen zu müssen.

Vielleicht würde ich das heute noch so machen, wäre ich nicht im Sommer 1990 mit der Kurt-Schumacher-Gesellschaft zu einem politischen Seminar in der Steiermark gewesen. Unter anderem war ein Besuch einer Molkerei angesagt, der EWG-Milch- und Buttermarkt sollte erklärt werden.
Na gut, gehe ich eben mit hin, so mein nichtsahnender Gedanke dabei. Waren ja alles nette Leute und so. Was dann kam, kann ich nur mit "umwerfend" beschreiben. Sittsam nahm auch ich ein Glas Milch zur Verkostung an und hielt plötzlich die Luft an. Diese Milch schmeckte so fantastisch gut, dass ich absolut baff war. Drei Liter soff ich in mich hinein. Den anderen Teilnehmern aus der DDR erging es ähnlich. Plötzlich schmeckte die Milch wie in der Kindheit. H-Milch war keine Konkurrenz mehr. Ich entdeckte sofort danach in den deutschen Märkten die Frischmilch mit anständigem Fettgehalt. Mir schmecken 3,5 bis 3,8 Prozent gut, anderen mag das anders ergehen. Egal. Prost!

Aber heutigen tags bin ich erneut auf der Suche nach „meiner“ Frischmilch. Da wo 3,5 oder 3,8 Prozent Fettanteil drauf stehen, sind diese sicher auch drin. Aber der Geschmack, der Geschmack, liebe Leute! Nach H-Milch schmecken die meisten Milche, auch leider die aus Ostdeutschland. Ich werde keine Namen nennen, doch bin ich aktuell bei der Frischmilch eines großen südwestdeutschen Betriebs angelandet. Zum Glück gibt es dessen Milch in vielen Märkten. Viel lieber würde ich die Frischmilch regionaler Produzenten trinken, aber beim besten Willen, das geht nicht mehr. Irgendwas machen die mit der Milch. Ob die ihre Milch länger erhitzen, damit diese länger hält? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur so viel, die meiste sogenannte "Frischmilch" schmeckt nach langweiliger H-Milch.

Schade! Milchmäßig bin ich beim Hasten und Suchen nach guter Ware irgendwie erneut DDR-mäßig angekommen ... und wurde doch fündig:

In Bad Lausick gibt es seit Dezember 2017 das
„Frisch-Milch-Paradies“
der Familie Schönberg. Dort schmeckt mir die Milch genauso, wie ich es mir vorstelle. Herzlichen Dank nach Bad Lausick!

Liebe Milch-Liebhaber, das Suchen lohnt sich. Allein im Internet gibt es eine Menge Verweise zu Frischmilch-Tankstellen. Sucht, so werder Ihr finden.