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"Moscow" - das war es dann als DJ

Die DDR-Fahne hatte nichts mit der Disco zu tun. Der Wirt ließ die absichtlich immer dort hängen. Es sollte alles staatstreuer aussehen als es tatsächlich war.

 

 

Auszug aus meinen Aufzeichnungen „Mein erstes Jahr in der Politik“:


Musikinteressiert wie die meisten Jugendlichen lebte ich dieses Hobby ab April 1974 intensiv als Discjockey des Böhlener Jugendclubs. Lange konnte dieser große Spaß allerdings nicht gut gehen. Ich spielte mit meinem Tonbandgerät ZK-140 100 Prozent Westmusik ab. Vorgeschrieben waren aber in der DDR generell mindestens 60 Prozent Ostmusik zu maximal 40 Prozent Westmusik, was schon rein angebotsmäßig nicht zu leisten war. Diese klitzekleine DDR konnte allein mengenmäßig nicht mit dem Angebot guter westlicher Rockmusik mithalten. Je stärker unsere Discomusik nachgefragt wurde, desto intensiver wurden diskrete Anwürfe, die Prozente ja einzuhalten. Ein besonderer Stein des Anstosses war das harmlose Lied „Moscow“ von "The Wonderland". Aus völlig unerfindlichen Gründen war es sehr weit oben auf dem gefühlten Index nicht spielbarer Westmusik.

Die Anstoßgeber hatten bei mir keine Chance, dafür die längeren Arme. Eingeleitet wurde mein Aus-dem-Verkehr-Ziehen mit Leserbriefen in der Leipziger Volkszeitung auf der Lokalseite Borna mit Beschwerden über die laute Musik und über ein angebliches Randalieren der Discogäste auf ihrem Nachhauseweg. Diesen Beschwerden folgte ein Kommentar des Lokalreporters unter der Überschrift „Nichts gegen Disko, aber!“, der dann im März 1975 Anlass für die örtliche FDJ-Leitung war, mir in einem Drückergespräch deutlich zu bedeuten, entweder die Prozente einhalten oder aufhören! Ich entschied mich fürs Aufhören. Ich liebte das Musikabspielen, doch nicht so, dass ich mich dafür verbiegen würde.


Ein schönes Beispiel der Westmedien mit ihrem attraktiven Musikangebot: Anfang September 1974 schnitt ich den Gassenhauer „You ain’t see nothing yet“ von "Bachmann Turner Overdrive" bei Lord Knud und seinen „Schlagern der Woche“ auf RIAS 2 mit. Den Titel spielte ich sogleich in jeder meiner wöchentlichen Disco-Veranstaltungen. Zwar wurde auch dazu getanzt, doch von Begeisterung war keine Spur. Mitte November lief die Granate im „Musikladen“ in der ARD und von da wurde der Titel jedes Mal frenetisch gewünscht.

Mitte 1994 erfuhr ich, dass mit Wolf-Rüdiger Viol mindestens ein Mitglied der Discomannschaft für das MfS als IM dabei war. Was auch eine Erklärung für das Aus im März 1975 sein könnte....
                              

Mein Tonbandgerät und ich - ein Klassenabend 1971. Selbstverständlich 100 Prozent Westmusik...